Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 8. Januar 1918

Friedrichshagen

b. Berlin, Seestr. 63.

8.1.18.

Lieber Freund!

Meine Reise zu Dir wird sich leider noch ein kleine Weile verschieben. Meine Abreise zu Vorträgen an der Westfront ist – erst auf den 20. d.M. festgesetzt worden und dabei muß ich auf der Hinfahrt über Hannover – Cöln – Herbesthal in einer Tour durchfahren. Eine Route über Thüringen kann ich also erst an die Rückfahrt anschließen, so daß ich in der ersten Woche des Februar bei Dir vorbei kommen würde, um Dir dann zu anderm auch von meinen frischen Fronteindrücken zu erzählen. Die Unrast der Zeit ist gegenwärtig || leider allen festen Plänen feindlich, zumal ich immer zwischen meinen Vortragsfahrten daheim noch allerlei an laufenden Arbeiten zu erledigen habe. Dein Krystallbuch macht mir große Freude, es war ein überaus wichtiger Grundstein noch Deines ganzen prächtigen Ideengebäudes, den Du hier noch einmal gefestigt und markiert hast. Ich freue mich sehr auf ein ausführliches Gespräch darüber mit Dir. Das Buch enthält übrigens weit mehr, als der Titel ahnen läßt, obwohl er wohl am besten die eigentliche aktuelle "Rosine" für den größeren Leserkreis heraushebt. Mir persönlich wird leider auf diesem naturphilosophisch || so unsagbar wichtigen Boden das Folgen etwas schwer gemacht (ich meine „Folgen" im reinen Sinne des Verstehens), da meine chemischen Kenntnisse leider ganz miserable sind. Die heutige Schulgeneration lernt doch ein gut Stück mehr von diesen Grundlagen, zu meiner Zeit war‘s aber noch ein Jammer, wie rein gar nichts man hier vom Gymnasium mitbekam, und später habe ich bei meinem autodidaktischen Herumstreifen auf den verschiedensten Terrains grade für Chemie gar keine Zeit mehr gefunden. Jedenfalls aber hat mich das im Einzelfall Deines Werkes aber doch nicht || hindern können, die Fülle der überall ausgestreuten Leitgedanken und Lichtblitze zu genießen und mir anzueignen.

Dem Verlag muß man nebenbei danken, daß er eine so vorzügliche Ausstattung durchgesetzt hat, – sonst pflegen Bücher von 1917 wie arme geschundene Raubritter in Papier und Druck auszusehen!

Also alles weitere auf frohe Stunden bei Dir!

Einstweilen mit herzlichsten Grüßen

Dein W. Bölsche

Die Seele unseres Staatsschiffs macht mir im Augenblick arge Sorgen. Wenn bloß nicht ein Frieden mit sehr irregulärer Kristallform herauskommt!!

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.01.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9745
ID
9745