Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, [nach dem 17. Dezember 1910]
Friedrichshagen
b. Berlin,
Seestraße 63
Lieber Freund!
Noch einmal herzlichsten Dank Dir und Deiner lieben Frau für die freundliche Aufnahme bei Euch. Inzwischen habe ich Deinen Brief vom 17. Dez. auch erhalten, und ich möchte im Anschluß daran meine herzlichste Bitte aussprechen, daß Du uns hier draußen einen Tag von Deinem || Berliner Aufenthalt schenken möchtest. Ein schöner Tag hier in der Müggelsee-Landschaft ist gewiß kein verlorener, – grade heute ist der See so entzückend blau, als schaue man auf das Mittelmeer, und ein Trupp von über hundert Gänsesägern (Mergus merganser) treibt sich lustig fischend darauf herum, – es ist ein famoses Bild. Wir würden Dich dann an || einem beliebig von Dir zu bestimmenden Tage zwischen dem 27. und 30. Dez. (mit einziger Ausnahme des 29, an dem wir von 5 Uhr ab ausgeladen sind) zu Tisch erwarten, eventuell mit Deinem lieben Neffen und seiner Frau, deren Mitkommen uns sehr freuen würde. Ueberlege es doch einmal so, es wäre so sehr hübsch!
Bei mir sind jene letzten Dezembertage grade der Ausklang meines ersten Lebens-Halbjahrhunderts, da ich am 2. Jan. 50 Jahre alt werde. Bei der heutigen || stärkeren Gehirnbelastung des Kulturmenschen scheint mir angemessen, das berühmte Schwabenalter von 40 auf 50 zu erhöhen, so daß Dein Besuch mich noch grade im letzten Abendrot des fröhlichen Schwabenstandes vor Eintritt von allzuviel Lebensklugheit (vor der mir stets etwas graust!) antreffen würde.
Ich stehe auch sonst in den Tagen ganz zu Deiner Verfügung, falls Du mich irgendwo brauchen || kannst, z. B. würde ich sehr gern mit Dir den neuen Botanischen Garten in Dahlem, der auch jetzt höchst sehenswert ist, besuchen.
Sollte es Dir bequemer liegen, statt eines Mittags einen Abend bei uns zu verbringen, so möchte ich noch erwähnen, daß unser Haus hier ein sehr behagliches Fremdenzimmer enthält, wo Du über Nacht bleiben könntest. Die Zugver-||bindungen (Züge fast alle direkt Potsdam – Friedrichshagen!) sind inzwischen noch bequemer geworden als früher.
Mit den herzlichsten Festgrüßen Dein
W. Bölsche
Freundliche Grüße an Herrn und Frau Geheimrat Meyer in Leipzig!
Die allerherzlichsten Weihnachtsgrüße mit der Bitte, meine Lieblingshoffnung, Sie zu Willi‘s Geburtstag hier bei uns zu sehen (das heißt zur stillen Vorfeier in unserem Häuschen! an dem Tage der ihnen der liebste ist,) zu erfüllen!
Stets Ihre
Johannna Bölsche.