Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 15. Februar 1909

Friedrichshagen

bei Berlin,

Seestraße 63.

15.II.09.

Lieber Freund!

Meine Frau und ich senden Dir unsere innigsten Glückwünsche zu Deinem Geburtstage. Möchtest Du ihn in rechter Frische, so, wie wir Dich im Herbst sahen, feiern. Ich halte am 10. März in Leipzig einen Vortrag und werde am 11. oder 12. einmal in Jena vorsprechen, ich möchte so manches gern mit Dir || besprechen. Wie ich Dir wohl schon schrieb, ist meine Haeckel-Biographie jetzt endlich aus der Misere des Seemannschen Verlages in den höchst anständigen Verlag von Georg Bondi übergegangen. Das bedeutet nun vor allem für mich eine Möglichkeit, an eine sehr erweiterte und für die späteren Jahre Deiner Bahn vervollständigte Neubearbeitung heran zu gehen. Es ist eine Arbeit, || auf die ich mich gradezu freue. Ich möchte sie aber mit Dir noch einmal ganz genau durchsprechen, es soll dann die wirklich definitive Edition des Werkes sein, die, wie ich hoffe, für die Folge einen bleibenden Wert haben wird. Der Verleger ist bereit, in Ausstattung, Bildern etc. das Äußerste zu thun.

Die Darwinfeier im Berliner Monistenbund verlief recht würdig, – immerhin war es doch allein schon ein || gewisser Triumpf, daß der große Festsaal des Berliner Rathauses (noch im vollen Schmuck der Eduard-Feier) dazu hergegeben worden war. Ich empfand dabei recht wieder, was für ein klarer und feiner Redner doch Plate ist, es ist doch wohl das allerbeste so, daß er zu Dir nach Jena kommt. Er stellt den seltenen Fall eines Fachprofessors dar, der in Berlin nicht || „verberlinert" im bösen Sinne ist!

Ich sende Dir anbei noch einen Darwin-Aufsatz, den ich zum Jubiläum verfaßt habe. Ich habe im Ganzen jetzt vier geschrieben („Umschau", „Kosmos", „Kölnische Zeitung", „Deutsche Rundschau".) Die „Deutsche Rundschau" war mir besonders wertvoll, da sonst sicherlich Reinke dort geschrieben hätte! Auch die „Kölnische Zeitung" war mir wichtig als Schlag in‘s schwärzeste Pfaffennest!

Semon schickte mir neulich einen Abzug Deines || Portraits von Karl Bauer, – ich finde es bei längerem Betrachten doch immer besser; es packt einen Geistesblick, den kaum ein anderes Bild von Dir bisher gegeben hat. Wie findest Du, der noch das Original in der Erinnerung hat, seinen „Darwin"? Er ist anders als alle Bilder sonst, besonders im Auge? Ist das nun intuitiv richtiger von || ihm erfaßt? Oder ist es Phantasie?

Bei Darwin fällt mir ein, daß ich Dich um etwas bitten möchte, d. h. vorausgesetzt, daß es möglich ist. Ich möchte so sehr gern ein paar Zeilen von Darwins Hand haben, womöglich solche, die eine Beziehung auch zu Dir haben. Ein solches Blatt würde mir ein gewisser Talisman sein, den ich gern in meiner Familie bewahrte. Vielleicht denkst Du gelegentlich einmal daran. || Herr Winkler (Wilmersdorf b. Berlin, Brandenburgische Straße 61) plant eine Forschungsreise zu Photographiezwecken à la Schillings in‘s Tanganjika- und Kilimandscharogebiet, zum teil in unerforschte Gegend, – er fragt bei mir an, ob ich nicht einen jungen Zoologen oder Paläontologen wüßte, der sich (unter sehr günstigen Bedingungen hinsichtlich der Kosten) || entschließen wollte, – schon im Mai etwa. Ich möchte die Sache auch Dir wenigstens mitteilen, vielleicht weißt Du grade jemand. Paläontologisch scheint die Gegend ja durch die große Brontosaurierlagerstätte, die Fraas entdeckt hat, hoch aktuell zu werden! Ich habe immer die dunkle Hoffnung, grade Afrika werde noch einmal in seinem dunkelsten Innern Reste der ältesten Fauna von Ur-Plazentaltieren im Ausgang der || Kreide liefern, die Fauna, die noch vor Cernays und Neu Mexiko lag.

Nochmals alle guten Wünsche!

In Treue Dein Wilhelm Bölsche

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.02.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9692
ID
9692