Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 6. Mai 1906

Friedrichshagen

b. Berlin,

Kaiserstr.

6.V.06

Lieber Freund!

Zu meinem größten Aerger kann ich am 9. d.M. selbst nicht nach Jena kommen. Ich will am 15. nach Cöln (zur goldenen Hochzeit meiner Schwiegereltern) und muß vorher das druckfertige Manuskript meiner Singakademie-Vorträge abliefern. Da ich nun bloß ein rohes Conzept dieser Vorträge besitze, || fällt grade auf diese acht Tage noch eine eisern strenge Arbeit für mich, die ich auch nicht mit 24 Stunden unterbrechen darf. Es ist mir selbst wirklich sehr fatal, ich habe so sehr das Bedürfniß, einmal persönlich der ganzen Bundes-Sache nahe zu treten, ebenso wie ich Dich so gern wiedergesehen hätte. Hätte ich nur etwas früher den Termin fest gewußt, so hätte ich eventuell meine Dispositionen noch etwas anders fassen können, – nun aber ist es zu spät. || Wille will kommen. Er bittet mich, doch aber einmal anzuklopfen, ob nicht ein Vortrag in Jena für ihn, vielleicht für Donnerstag, durch Freund Schmidt sich noch arrangieren ließe, so daß er die Reise damit verknüpfen könnte. Er würde sehr gern über „Goethe und den Monismus", oder so etwas ähnliches, sprechen, müßte aber sogleich Nachricht erhalten.

Meine Singakademie-Vorträge waren glänzend besucht, be-||sonders von sehr viel Mitgliedern des Vereins „Kosmos". Dieser Verein wächst ganz gewaltig in letzter Zeit und ich möchte nochmals mahnen, doch ja seine starken Kräfte für den Monistenbund auszunutzen, wozu eine Verbindung mit dem Franckhschen Verlage Stuttgart (etwa für Bundespublikationen) der beste Weg wäre.

Mit großer Freude habe ich die neue „Generelle Morphologie" durchgesehen. Meine anfängliche Angst, es || könnte jedes Rütteln an dem prachtvollen frischen Originalbau der ersten Auflage schaden, ist doch vor dem Faktum der Einsicht gewichen, daß unschätzbare Teile so wenigstens wieder aktuell für Deinen so andersartigen heutigen Leserkreis gerettet sind. Ich werde noch eingehend öffentlich darüber schreiben, so wie ich erst ein wenig über den Berg eigener Arbeit bin, also im nächsten Monat.

Meine Haeckel-Biographie || ist jetzt (durch Reorganisation des Verlags Seemann Nachfolger) wieder in glattem Fahrwasser. Sie ist im letzten Jahr gradezu glänzend gegangen und eben jetzt wird eine Neuauflage von 10 000 Expl. vorbereitet. Der Verlag hätte dazu gern ein neueres gutes Portrait von Dir und ein kurzes Wort als Unterschrift. Würdest Du die große Freundlichkeit || haben, mir ein solches Bild zu überlassen?

Unser armer Freund Heinrich Hart hat inzwischen schwere Stunden gehabt: eine schauerliche Operation gegen (wahrscheinlich!) Oberkiefer-Krebs mit zweifelhafter Zukunft trotz augenblicklichen Gelingens.

Mit den herzlichsten Grüßen (auch von meiner Frau)

Dein

Wilhelm Bölsche

Brief Metadaten

ID
9668
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
06.05.1906
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
7
Umfang Blätter
4
Format
11,5 x 18,1 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9668
Zitiervorlage
Bölsche, Wilhelm an Haeckel, Ernst; Friedrichshagen; 06.05.1906; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9668