Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 8. Januar 1906

Friedrichshagen, 8.I.06.

Lieber Freund!

Herzlichen Dank für Deine Zeilen. Wie sehr freue ich mich, daß es Dir wieder besser geht! Am 11. d.M. in Jena zu sein, ist mir leider, leider doch nicht möglich. Ich habe hin und her überlegt, aber die Sache kommt zu spät und zu schnell. Sie stößt zeitlich grade mit einer schon längst übernommenen || Vortragsverpflichtung hier zusammen, die Leute haben das Lokal schon gemiethet und ich kann bei bestem Willen nicht mehr absagen. Zu den übersandten Satzungen habe ich nichts wesentliches zu sagen, sie sind gut so. Eventuell könnte § 2 etwas loser gefaßt sein: es ist ja für die Zukunft nicht absolut nötig, daß stets Jena der Bundessitz bleibt. Vielleicht könnte dieser Paragraph || überhaupt fehlen und dem jeweiligen Ermessen des leitenden Ausschusses überlassen bleiben. Der Satz in § 7 "Der Betrag kann erlassen werden" dürfte ein bischen sehr verführerisch für Viele wirken; auch diese Bestimmung könnte als stillschweigender Usus gelten, der aber nicht gleich in den Statuten zu stehen brauchte; eher würde ich den Mindestbetrag auf 3 M. ermäßigen. Vergessen ist in den Statuten das doch wohl stets nötige Amt der Kassen-Revisoren. || Diese, zwei an der Zahl, muß die Generalversammlung wählen, die deßhalb doch im Anfang einmal nötig ist und auch später mindestens einmal alle zwei Jahre tagen sollte. Da die Mitglieder weit gestreut wohnen, läuft sie ja wahrscheinlich stets auf eine Formalität hinaus, die aber doch der Geld-Controlle wegen nötig bleibt; die zahlenden Mitglieder müssen sich vergewissern können, ob das Geld richtig verwaltet wird, und der Kassierer || wird durch diese stets mögliche Revision gezwungen, geschäftsmäßige Bücher zu führen, was dringend nötig ist.

Ich selbst will gern eine Wahl in den Ausschuß annehmen, dagegen kann ich aus Mangel an Zeit nicht den Vorsitz übernehmen. Ich glaube aber in der That, daß Kalthoff dafür sehr geeignet wäre. Er ist ein absolut rechtschaffener Mann, durch beste Vermögensverhältnisse unabhängig, ein pedantisch gewissenhafter „Beamter", wenn er etwas übernommen hat, || kurz ein wahres Muster von Charakter. Etwas, ich möchte fast sagen, Drolliges liegt allerdings in seiner öffentlichen Stellung. Er ist extremer Freidenker, leugnet sogar die Person Christi und hält die Evangelien für eine Art Volksdichtung aus der Befreiungssehnsucht bedrückter sozialer Klassen der Zeit heraus. Nun hat aber Bremen als Unikum im lieben Deutschland das Recht der Gemeinden, sich ihre Pfarrer ganz nach Gutdünken zu || wählen ohne jede Rücksicht auf die Kirchenbehörde. Und so haben sie sich diesen Mann als „Pastor" gewählt, – er wohnt im Pfarrhaus, predigt (über Darwinismus etc!!) in der altehrwürdigen, epheuumsponnenen Kirche und gilt staatsrechtlich als evangelischer Pastor. Dieses „Wunder" ist ein ebenso seltener, wie lehrreicher Fall: es zeigt, wie bei völliger Freiheit von oben durch einfachen Wahlakt der Gemeinde wahrscheinlich allerorten in Deutschland binnen || kurzem wenigstens große Teile der Gemeinden sich aus der Kirche ohne Krach und Spalt einfach zu freireligiösen und monistischen Gemeinden entwickeln könnten. Freilich hat‘s mit diesem „Freiheit von oben" sonst noch lange Wege und Bremen ist hier weit voraus. Jedenfalls aber können wir gegen diese Art „Pastor" nichts einwenden, denn auf den steinernen Kirchenbau als solchen kommt‘s ja nicht an, sondern auf das, was || darin gepredigt wird. Ich meine also, Kalthoff sei in mehrfachem Sinne und grade wegen dieses wunderbaren Amphibien-Standes, in dem er existiert, ein sehr guter Vorsitzender. Die Theologen, die ihn ohnehin fortgesetzt anbellen, werden sich doppelt ärgern, daß ein angestellter amtlicher Pastor den Monistenbund leitet. Die beiden andern mitunterzeichneten Pastoren in Bremen kenne ich nicht, zweifellos aber gelten für sie die gleichen Dinge.

Kalthoff will übrigens || auf eigene Faust eine Zeitschrift gründen, vielleicht ließe sich das mit den Absichten des Bundes vereinigen. Wenn ein Verlag gesucht wird, empfehle ich sehr warm den trefflichen und äußerst geschickten Franckh’schen Verlag (Keller & Cie) in Stuttgart. In summa bin ich ja, wie Du weißt, nicht für eine Zeitschrift. Aber auch für Flugschriften wäre dieser Verlag besonders wertvoll. Natürlich kann ich im eventuellen Fall || auch Diederichs nur warm empfehlen. Wenn Kalthoff also den Vorsitz nähme, würde ich zum Sekretär (der Titel Generalsekretär klingt hübscher!) Dr. Heinrich Schmidt vorschlagen, der Kassierer müßte ein möglichst sicherer, etwa in Jena ansässiger und geachteter Geschäftsmann sein, etwa ein ganz solider Verleger. Wenn Diederichs es thäte, wäre es || gewiß gut. Nur kein junger unsicherer Mann, wir haben da bei der „Freien Hochschule“ || in Berlin böse Erfahrungen gesammelt. Es muß ein Geschäftsmann und ein absolut solider von Ruf sein!

Deine freundliche Empfehlung bei Osborn hat leider keinen Erfolg gehabt, er will die schönen Bilder in einiger Zeit selbst veröffentlichen und nicht sich selber Conkurrenz schaffen. Sollte Dir grade etwas in den Sinn kommen, was zur Illustrierung eines populär-paläontologisch-zoologischen || Säugetierbuches zu gebrauchen und zu haben wäre, so thust Du mir mit einem Hinweis einen großen Gefallen. Das Buch soll etwa 20 Tafeln enthalten, bloß das eine oder andere besonders interessante Objekt, ohne jeden Versuch einer echten Ganz-Illustrierung des Stoffs; aber nur auch künstlerisch hübsche Sachen. Dein großes Bilderwerk habe ich von Koehler-Gera noch nicht erhalten.

Mit den herzlichsten Grüßen

Dein W. Bölsche

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.01.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9666
ID
9666