Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 25. Dezember 1903

Friedrichshagen b. Berlin, Kaiserstr.

25.XII.03.

Lieber Herr Professor!

Sie haben mir eine wirklich köstliche Weihnachtsfreude mit der Statuette gemacht. Ich besitze kein Bild von Ihnen, das so den „ganzen Haeckel" in aller Frische und Treue stimmungsvoll wiedergibt, wie dieses. Vielen herzlichsten Dank! Meiner Frau und mir war es, als wir die Kiste auspackten, als träten Sie selbst mit einem fröhlichen Wort auf den Lippen zu uns herein!

Ich sende anbei die längst versprochene Kritik der „Anthropogenie", bei der nur leider das Buch etwas zu kurz gekommen ist neben dem Menschenstammbaum selber. In diesen Tagen schreibe ich über Sie zum 70. Geburtstage für die „Deutsche Rundschau" auf Rodenbergs besonderen Wunsch. || Ich habe dieser Tage meine erste „Premiere" gehabt: Aufführung eines Bildervortrags in der Berliner „Urania", mit wirklich trefflich von Harder und Kranz gemalten und inszenierten Vegetationsbildern etc. Die Sache lief gut ab und die ernsthaftesten, nicht grade darwinistisch angehauchten Aktionärs-Mümmelgreise der Urania waren doch zufrieden.

Meine Herbstreise war größtenteils sehr schön. Wir haben allerdings im schönen Paris fast alle Zeit verbraucht, die für London gelten sollte, so daß dieses schmälich zu kurz kam, aber die Eindrücke waren auch wirklich tief und gut. Dann bin ich von Cöln aus noch 8 Tage in herrlichem Herbstgold durch die Eifel gezogen, – eine Jugendsünde wett zu machen, daß ich die köstliche Vulkangegend von Manderscheidt noch nicht || kannte, obwohl ich Rheinländer bin.

„Liebesleben” erscheint eben im 16. Tausend und macht mir also recht viel Freude. Auch das kleine Büchlein “Eroberung des Menschen” ist schon wieder ausverkauft. Es muß doch eine hohe Woge von Interesse an [sic] entwickelungsgeschichtlichen Problem durch die Masse gehen – und das während die Neunmalweisen das Gras wachsen hören, der Darwinismus gehe zurück!

Seit einigen Wochen feile ich an der Neuauflage von Krause‘s „Werden und Vergehen” herum. Das Buch fordert später einmal eine gründlichere Umarbeitung, als jetzt in der Kürze der Zeit möglich ist. Krause hat, wie ich merke, in die späteren Auflagen leider recht auf Tod und Leben bloß Zettel eingeklebt, anstatt im Ganzen neu zu arbeiten und so zeigen sich überall Risse, Nähte, Widersprüche, ohne || daß ich viel helfen kann. Ich denke, für einmal thut‘s noch so seinen Dienst, die folgende Auflage muß dann ganz neu geordnet und gesichtet werden.

Mit den herzlichsten Grüßen und Neujahrswünschen auch an Ihre verehrte Frau Gemahlin – und von meiner –

Ihr

Wilhelm Bölsche

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.12.1903
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9639
ID
9639