Bölsche, Wilhelm

Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 9. August 1900

Friedrichshagen, Ahorn Allee 22.

9.VIII.1900.

Lieber Herr Professor!

Ich höre so eben von Rodenberg, daß Sie schon in diesem Monat in die Weite fahren. Dann also rasch noch ein herzlichstes Glückauf! Möchten Sie die reichste wissenschaftliche wie ästhetische Ausbeute finden! Ich werde Sie in Gedanken auf meinem dicken Globus begleiten und hoffe, ab und zu etwas aus der Ferne zu hören. Wenn Ihnen || gelegentlich im Tropenurwald einer meiner Spezialfreunde, ein Käfer, besonders aufdringlich werden sollte, so denken Sie vielleicht an mich und schleifen ihn, wenn‘s keine besondern Umstände macht, für mich mit. Wenn alles gut geht, bin ich wohl in zwei bis drei Jahren auch auf einer wenigstens flüchtigen Tropentour. Inzwischen habe ich den 2. Teil meines „Liebeslebens" (eine in‘s Fernste ausgesponnene Darlegung des Wesentlichsten, was der 29. Vortrag der „Anthropogenie" so wunder-||voll straff zusammenfaßt) vollendet. Am 26. August werde ich den Festvortrag zur Goethefeier des Giordano-Bruno-Bundes hier halten. Der Bund hat sich jetzt endlich fest konstituiert, mit Wille, Steiner, Penzig, Wolfgang Kirchbach, mir u.a. im Vorstand. Einer der Mitbegründer, ein hiesiger Arzt Juliusburger, ist noch im letzten Moment aus den wunderlichsten Motiven, bei denen leider unbefriedigte Eitelkeit nach meiner Ansicht das entscheidende war, zurückgetreten. Im Moment sieht die ganze Sache || mit dem Bunde recht aussichtsvoll aus. Die Goethefeier wird wohl interessant als Sympthom werden, – es ist die erste in Berlin, die seines Geburtstages öffentlich feiernd gedenkt. Voriges Jahr, zum 150. a Jahrestag, gab es hier rein nichts.

Frau Zacharias, die lustige Grazer Freidenkerin, schreibt mir entzückt über ihren Besuch bei Ihnen. In Gedanken war ich letzthin selbst in Ihrem Institut, – ich schrieb einige Geleitworte || zu den schönen Bildern, die die „Woche” von dort bringt. Hoffentlich habe ich alles richtig gedeutet.

Meine Frau läßt ebenfalls alles Beste für die Reise wünschen. Unser Karlchen gedeiht prächtig.

Wollen Sie mich bitte Ihrer verehrten Frau Gemahlin empfehlen. Es wird kein leichter Entschluß auch für sie sein, so lange Trennung. Aber ich male mir aus, wie frisch und verjüngt Sie heim kommen!

Mit allen herzlichsten Wünschen und Grüßen

Ihr treuer Wilhelm Bölsche

a gestr.: Tag

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.08.1900
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9612
ID
9612