Wilhelm Bölsche an Ernst Haeckel, Friedrichshagen, 22. Dezember 1892
Friedrichshagen b. Berlin.
Wilhelmstr. 72.
22.XII.92.
Hochverehrter Herr Professor!
Herzlichen Dank für das Heft mit dem so interessant erweiterten Glaubensbekenntniß.
Ich habe letzthin versucht, in dem Verein für ethische Kultur eine Lanze einzulegen für naturwissenschaftlichen Unterricht, − der Vortrag erscheint im Januarheft der „Freien Bühne" gedruckt. Dabei war in hohem Grade charakteristisch zu sehen, wie in der nachfolgenden Diskussion grade die anwesenden jüngeren Gymnasiallehrer, die selbst naturwissenschaftlichen Unterricht zu erteilen hatten, mit besonderem Zorn protestierten und behaupteten, unser bestehender natur-||wissenschaftlicher Unterricht in Volksschule und Gymnasium sei ein Ideal, das gar nicht mehr übertroffen werden könne! Für den Begriff „Freude an der Natur" waren diese Herrn völlig unzugänglich, − das erschien ihnen als ein „poetisches“ Element, das gar nicht in den Unterricht hineingehöre. Es war eine Wüstendürre, auf die man mit jedem Wort der Debatte stieß, wie ich sie mir doch kaum vorgestellt hatte, − ein hoffnungsloser Kampf gegen einseitige Anpassung an das Aller-dürftigste, Schlechteste, einen Zufriedenheitszustand, der jede Möglichkeit zur Fortentwickelung verloren hatte. Vielleicht ist es allerdings wieder speziell der Typus des Berliner Gymnasiallehrers, der sich hier besonders scharf ausprägte. Der Berliner || ist, glaube ich, der genußunfähigste Mensch, der denkbar ist, und was er nicht hat, das verfolgt er mit zähester Nörgelei.
Mit herzlichsten Weihnachtswünschen
Ihr Wilhelm Bölsche