Anonym

Anonym an Ernst Haeckel, Bielitz, 16. Juni 1909

Seine

Excellenz

Herrn

Dr. Ernst Häckel

Universitäts-Prof. i. R.

in Jena

Es ist eine immer wiederkehrende Tatsache, die zumal einem scharfen Beobachter einer an Verrirrungen u. Wirrsalen reichen Zeit nicht entgangen sein dürfte, dass Männer die des Lebens höchste Höhe erklommen, die auf der Höhe ihrer Macht standen, plötzlich und je zu Falle kamen. –

Dafür liefert die Menschheitsgeschichte und die Weltgeschichte Beispiele genug. –

Und in der Tat!

Wie stolz und siegesgewiss, erhob der Monismus, dessen || Präsentant und Chorführer Sie sind, vor einigen Jahren das Haupt um der nun vorherrschenden christlichen Weltanschauung und idealer Lebensauffassung den Todesstoß zu versetzen. –

Leider brach sich aber diese neue Theorie die nur wenig Anklang in der gelehrten u. gebildeten Welt fand, da sie ja bei Licht betrachtet mit den Ergebnissen moderner Wissenschaft und Forschung nicht zu vereinigen war, sondern mit den blanken Tatsachen im krassesten Widerspruch und grellsten Gegensatz steht, – umso mehr in den untersten Schichten der Bevölkerung, der Arbeiterschaft, Bahn. –

Da nun aber die soziale, materielle Frage heutzutage im Vordergrund des Interesses steht und die nun einmal unter dem Drucke der Zeitverhältnisse leidende Menschheit sich nach Erlösung und Befreiung sehnt, und das geknechtete Volk einer richtigen Lösung der || sozialen Frage harrt, glaubte man eine solche in Ihrer erfundenen Religion, dem der Neuzeit angepassten neuen „Evangelium“ gefunden zu haben. –

In der Volksseele tauchte natürlich niemals die leiseste Vermutung auf, dass Sie mit der Menschheit ein grauenhaftes Narrenspiel treiben und dass Ihre Seele ein entsetzlicher Größenwahn umnachtet. –

Freilich haben Sie nur dem Umstande zuzuschreiben, dass Sie zu Macht, Ehre und Ansehen gelangten, dass eine große Volksmenge vorurtheilsfrei blindlings ihrem Meiser folgten. –

So gaben Sie sich und Ihre wenigen Gereuen der angenehmen Hoffnung hin, dass binnen Kurzem der Monismus /: diese Ausgeburt von Hirngespinsten /: seinen Sieges-Einzug in alle Lande halten wird, dass er im Sturme die Herzen sich erobern wird. –

Doch wie hatten Sie sich geirrt!!! ||

Im gegnerischen Lager entfaltete ein Gelehrtenbund eine schier fieberhafte Thätigkeit, um das Volk fürderhin vor dem wachsenden Unheil und Verderben, dass Ihre vielfachen Irrlehren angerichtet, zu schützen u. durch Ausgaben volkstümlich wissenschaftlicher Abhandlungen, geschrieben in einer allgemein verständlichen Sprache, darzutun, dass „Glauben und Wissen“ keine Gegensätze bilden, dass beide zu Recht bestehen und um den untrüglichen Beweis der Haltlosigkeit Ihrer zurecht gestutzten willkürlichen Hypothesen, die nur aus der Luft gegriffen sind, zu liefern. –

Dr. Brass, Ihr ebenbürtiger Gegner hat nun haarscharf die Nichtigkeit und Unverlässlichkeit Ihrer ganzen wissenschaftlichen Methode schlagend nachgewiesen. –

Es ist sogar ein Kampf der Naturwissenschaft gegen Ihren Monismus entbrannt. – ||

Vor der breiten Öffentlichkeit haben Sie das jedenfalls überraschende, immerhin aber offene Geständnis abgelegt (haben), im Sinne des Dr. Brass gefälscht zu haben. –

Es ist eben noch nicht aller Tage Abend; denn jede Schuld rächt sich auf Erden. –

Gott lässt sich nicht spotten, denn was der Mensch säet, das wird er ernten. –

Einst eine gefeierte Größe, die in verflossenen Jahren durch hervorragende wissenschaftliche Arbeiten unsterbliche Verdienste sich erwarb, nun aber wie offen am Tage liegt „eine gefallene Größe“, so wird das Urteil der Fachgelehrten immerdar lauten. –

Wenn ein aus tausend Wunden blutendes Volk arg darniederliegt, so kann nur einzig und allein, das „Evangelium von Jesus Christus“ dem Sohne Gottes, in welchem die heilspendenden Kräfte verborgen liegen, dem kranken Volkskörper die || Gesundheit bringen.

Nicht die Religion des Monismus, sondern die Kirche der Reformation ist die Kirche der Zukunft; sie wird überdauern das Zeitalter aller Zeitalter, denn sie hat Ewigkeitsgehalt, sie ist aus Gott geboren. –

Da nun Ew. Excellenz im hohen Greisenalter stehen und nun auf eine sturmbewegte Vergangenheit zurückblicken, da Sie nun den rechten Lebenspfad verloren und auf Irrwege gerieten, halten Sie ein und kehren Sie in den Schoß unserer teuren evangelischen Kirche zurück. –

Ein treuer Zeuge Jesu Christi

Bielitz, den 16.6.1909

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.06.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 9519
ID
9519