Anonym

Anonym an Ernst Haeckl, [Tremezzo, 30. März 1906]

Für dich, der ewig über Welten thront,

Und den kein sterblich Auge je erkannt,

Dich, der in jedem reinen Herzen wohnet,

Den jeder, der dich wirklich suchte, fand,

Dich, der die Wahrheit liebt, den Irrthum schonet,

Und den kein Tempel schließt, kein heilig Land.

Dich will ich glauben, Deinen Lohn erwerben,

Dein will ich sein im Leben und im Sterben.

Dich wollten jene alten Forscher finden,

In ihren Hallen hat dein Licht gewohnt;

Dich wollt’ uns einst Marias Sohn verkünden,

Die Mit- und Nachwelt hat es ihm gelohnt.

Wo Priesterwuth und Irrthum sich verbünden,

Wird Keiner, der dich laut bekennt, verschont.

Zu allen Zeiten kannten dich die Weisen,

Verehrten sie dich still in engern Kreisen. ||

Da waren sie vereint, dein Buch zu lesen,

Dein großes Buch, die herrliche Natur.

Es predigt dich du Wesen aller Wesen

Auf jedem Blatte deines Waltens Spur.

Was je zu schauen uns vergönnt gewesen,

Es fand sich stets in diesem Buche nur,

Dem einzigen, das du allein geschrieben,

Dem einzigen, das unverfälscht geblieben.

Auch mir hast du gewehrt, hineinzublicken,

Wie du den Sonnen zeigtest ihre Bahn,

Mit ihrem Glanz die Erden zu erquicken

Im unermessnen Himmelsocean.

Und Monde sah ich um Planeten rücken

Nach weisem, ewig unverrücktem Plan;

Ein Band umschlingt das mächtige Getriebe

Das große, allgemeine Band der Liebe. ||

Doch nicht allein in sonnenfernen Sphären,

Im Gange deiner großenWeltenuhr,

Darf Dich der Mensch, der Erde Sohn, verehren

Denn rings um ihn ist deiner Güte Spur.

Und jede Blume, jeder Wurm kann lehren,

Wie herrlich du bist, Schöpfer der Natur.

Uns gönntest du mit Einsicht dich zu lieben –

O wäre doch der Mensch dir treu geblieben!

Der du die rollenden Planeten lenkest,

Der du die Haare meines Haupt’s gezählt,

Der du des niedrigsten Geschöpfs gedenkest,

Dich, ewger Vater hab ich mir erwählt.

Dank dir für alles Gute, das du schenkest!

Du sorgst, daß nichts an meiner Wohlfahrt fehlt,

Mir, wann u. wo mein Erdenleben ende –

Ich gebe meinen Geist in deine Hände.

Astronom Mädler

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
30.03.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 9497
ID
9497