Anonym an Ernst Haeckel, Gera, März 1893
Gera März 93.
Verehrter Herr!
Die „Zukunft“ hat einige Artikel gebracht von Rud. Steiner in Weimar. Ebenso werden Sie erwähnt oder schreiben wohl selbst über die Bismarktage in Jena.
Das ist Alles sehr gut, aber wenn Sie sogar aus sehr triftigen Gründen der projectirten Ethischen Gesellschaft fern bleiben zu müssen glauben, so bleibt doch immer die unbestreitbare Thatsache stehen, daß Einzelne als solche keine Resultate erzielen können und nur unitis viribus etwas zu hoffen ist. Welch Bild des hoffnungslosen Jammers bilden die Belgischen Liberalen in dieser Beziehung wo ziemlich ähnlich wie in unserem lieben Deutschland das römische Pfaffenthum als tertius gaudens die Herrschaft fest in den Händen hat und alle Andern (die sich eben nicht einigen können) auslacht. Wir haben hier in Deutschland eine Menge herrlicher Kräfte, die aber leider in ihrer ewigen Zersplitterung nie viel ausrichten werden, von H. von Egidy an bis zu Protestantenvereinen etc. soll das auch bleiben wie in Belgien?? || Ebenso sollte nicht die ganze christliche Religion so sans façon über Bord geworfen werden, wenn auch vieles Alberne und Überlebte (oft erst lange nach Christus fabricirta) dazu gerechnet wird, was gar nicht dazu gehört, daher Schwindel ist.
Eine vernünftige Klärung wäre da wohl am Platze. Eine menschliche Gesellschaft civilisirte Gesellschaft aber, ohne die 10 Gebote und ohne das Hauptgebot Christi:
„Alles was Ihr wollt, daß Euch die Leute thun sollen, thut ihnen auch, das ist das Gesetz und die Propheten“
ist wohl kaum denkbar –
Das Schrecklichste ist, daß Deutschland beinahe die Hälfte seiner Jugend in einen römische Pfaffenunterricht hinein zwingt, (wahrscheinlich damit es dem Centrum nie an Recruten fehle?). Auch der Osten Deutschlands würde mit intelligenten Arbeitern sicher weiter kommen, als mit im Namen der Religion verdummten –
Wird es nie Licht? sit lux
a eingef.: fabricirt