Anonym

Anonym an Ernst Haeckel, [Halle], 31. Dezember 1874

Herr Professor!

Sie haben sicherlich schon viel und mancherlei Briefe erhalten, drum wird Sie der Meine nicht wundern, ob er Ihnen gefällt zweifle ich; aber vielleicht lernen Sie doch etwas daraus. Sie haben sich daran gewöhnt im Geringsten das Wissenswertheste zu suchen, vielleicht liegt auch in meinen Schreiben etwas nützliches für Sie. – Ich interessire mich nehmlich sehr für Sie, für Ihre Forschungen, für Ihre Begriffe, und für Ihre Philosophie, ich möchte Sie als Kind, in Ihrem Elternhaus gesehen, und Ihren Umgang bis in’s 16te Jahr gekannt haben – ich sah Sie vor einiger zeit [!] in Schlafrock u. Filsschuhen, auch auf der Straße, ich konnte keinen unwillkührlichen Respekt vor Ihnen empfinden, ein hübscher Mann wie Viele – Ihre Photographie in „Dasein“ ist nicht anziehend, überhebend, kalt, und spöttisch, Ihr Auge schaut klug aber ich kann keine Güte darin finden, darum kann ich Ihnen den hohen Platz nicht einräumen in dem Kreis der Forscher, den Ihnen || Ihre Glaubensbrüder und Schüler zu geben, und zu wärmen suchen. Bismark hat irgend wo an seine Schwester geschrieben „es kömmt nur darauf an wie die Natur und die Ereignisse das Leben des Einen oder des Andern gereift hat mit Wurmstichen, mit Samen, oder mit nassen Wetter, bitter, süß oder faul.“ – Wenn man das Leben und die Erfahrungen eines Mannes nicht nach allen Seiten kennt, ist ein richtiges Urtheil sehr schwer, weshalb er so deutet, thut und schreibt – man sagt Sie hätten sehr viel geschrieben, lesen mag ichs nicht, es würde mich nicht stören aber auch nicht erquicken und kräftigen, ich habe genug von Ihren Museum und Ihren Affenglauben, daß wir durch natürliche Züchtung, von ihnen gezeugt sein sollen. – Kein Mensch ist gezwungen etwas zu glauben was er nicht mag, und ein jeder Mensch hat einen Glauben für sich, ein wahrhaft gebildeter mit normalen Verstand begabter Mensch, wird sich aber, wohl hüthen, die Ecksteine anderer Häuser, die ihn nicht gehören heraus zu reisen, und Holz dafür ein zu fügen was in kurzer zeit [!] verfault, || und das Ganze in Trümmer stürzt, aber das thun Sie, und System darrein, bei Vielen und besonders bei der Jugend – haben Sie bedacht wie Sie Ihre Glaubenssätze der Welt übergaben – a was Sie der Jugend für den geistlichen Glauben geben? Streit, Haader, jeder Stütze beraubt, denn Sie werden nie eine Gewißheit finden, und Ihr Glaube hat nichts mit den Gewissen zu thun, was den geistlichen Glauben die Macht und Stärke giebt. – Ihr Ehrgeiz fragt nicht nach den Kämpfen der Andern – Sie wollen einen Nahmen, und damit ist alles gesagt. – Kein denkender Mensch wird zweifeln daß auf der Erde alles Entwicklung ist, Eins aus den Andern, und daß nimmer ein Stillstand sein kann. – Haben Sie schon gesehen wie ein alter Frosch sich aufbäumt und auf den Hinterbeinen sitzt? ich kenne viele Männer die diesen Thieren ähnlich sehen, und halte einen Frosch für eben so würdig, mein Urvater zu sein, als den Affen, ebenso Ochs und Schaaf, Gans, und Henne – der Affe ist gerade mit seinen Instinkten am wenigsten gelehrig, und der Ausdruck seines Gesichts rein scheußlich! es giebt allerdings auch ihm ähnliche Menschen; aber Gott lob! auch Andere, die Thieren wie Pferd Hund und Vogel ähnlich sehen, und sind – darüber denken wir wohl gleich, || nur Sie, suchen die Wandlung durch natürliche Züchtung, ich durch ein Wunder Gottes – daß ein Gott lebt, werden Sie noch erfahren, und bekennen, das sein Sie sicher – das ist eben eure Klippe ihr Grübler, Phantasten, ruhmsüchtigen, une eitlen Menschen, daß ihr das Unmögliche ergründen wollt – ihr hört nicht auf die Warnungsworte unserer Alten und Weisen, ihr reißt an den Schleiern; aber ihr gelangt nur bis zur Fratze; in’s innere Heiligthum können eure blinden Augen nicht dringen – euer Thun hat ein Ende Gott aber wird ewig leben und spricht durch seine Wunder. – Wir können in wenig Minuten Petersillie, Reseda u. Läuse wachsen lassen; aber ein Mensch wird ohne Gottes Willen weder geboren noch kann er sterben: wohl tragen auch manche Aerzte ihre Weisheit zum Markt; aber mit ihre Macht ist nichts gethan – sie wenden ihr Leben daran, Knochen Blut und Nerven zu verstehen; aber immer wieder kommen sie an Berge die sie nimmer übersteigen können. || Warum nun Herr Professor lehren Sie, was Sie nur glauben, für eine Gewißheit? warum tasten Sie den christlichen Glauben an? was ist das für ein verdammter Unsinn über Christi Geburt zu streiten? seine Lehre ist so schön, so unantastbar, so rein göttlicher Natur, was quält ihr die Menschen, und euch selbst damit ob er hoch oder wohlgeboren ist? so lange ihr Neuredner nichts besseres bringt, als uns Christus durch sein Leben gab, gleicht ihr einer Rackete ihr zerplatzt in der Luft und verschwindet spurlos, die geistliche Lehre aber hält Staat und Familie zusammen, es ist durch sie Glück und Frieden möglich – was würde Ihr Affenahnen-Glaube für Früchte tragen? Doch Gott sei Dank! Ihre Jünger sind noch zu zählen und nicht im Steigen, und doch! ist es nicht auch als Wunder zu betrachten daß die Affenfinger zu Fußzehen geworden, wie muß sich nur der Daumen so wunderbar zusammen und hinaufgezogen haben? Dann die Bildung || der Stimm und Sprechwerkzeuge, auch daß ist mir ein großes Wunder, da reichen viele Milliarden Jahre nicht aus, und daß die großen Meister, die diese Züchtung vollbracht, so ganz ausgestrichen sind? die Steißbildung, pfui Teufel! den Hintern eines Kindes kann man zu 1000 Malen küssen; aber den eines jungen Affen nur mit Eckel betrachten. – Wohl giebt’s sehr häßliche Menschen-Rassen, das bedingt die Zone, die geringe Cultur und die Art wie sie leben müssen, darin liegt kein Räthsel; aber ihr Herren möchtet eins daraus machen. – Studiren Sie in Gottes nahmen weiter in den unergründlichen Buche; aber stellen Sie keine natürliche Züchtung auf, der Mensch ist eine Rasse für sich, seine Entwicklung geht unendlich langsam und was wir sehn, und was wir thun, ist nach dem was wir könnten, unendlich gering, wir sind wie unsere Kinder wir stecken || immer den Löffel zuerst mit dem Styl ins Maul, und unsere Gelehrten sind nach einem alten Sprichwort meist die Verkehrten, was wir waren? weiß keiner von uns, und wirds nicht ergründen wenn er auch Medusalems Alter erreichte. – Sie sagen die Affenmenschen wären ausgestorben, – aber die Affen und die Menschen leben noch? es ist also gleichsam die Brücke hinter uns abgebrochen Gott sei Dank! Denn, wenn die Vermählungen auch in heutiger Zeit fortgesetzt würden, würde es besonders um unsere Universitäten, und um unsere Bodencultur übel aussehen, denn Arbeit und Studium gehört nicht in’s Affenthum. Was die Geistlichkeit seit Jahrhunderten an den andern Menschen gesündigt, daran tragen wir noch schwer – nun wollen wieder Sie, und Ihre Genossen eh wir das Eine abgeschüttelt, uns eine neue Last auf hängen, aber glauben Sie mir, es wird Ihnen || nicht gelingen. – Ohne Glauben ist der Mensch das elendeste Geschöpf der Welt, denn seine Kraft und sein Wille hängen an feinen Fähden, die sehr leicht reißen. – In 10 Jahren werden Sie anders denken als heut – in 20 Jahren leben Sie wohl noch, ob auch Ihre Lehren? Die Jugend von da, wird sagen dort geht der alte Professor Häckel! der so viel gesprochen, studirt, und geschrieben, bewiesen hat er nichts, und es gilt auch hier der alte Satz, wer viel beweist beweist nichts. Daß wollte ich Ihnen sagen.

Nichts für ungut! Ihr Museum ist sehr schön und beweist Gottes Größe, haben Sie dank! für Ihre Mühe. Treten Sie gesund in’s neue Jahr, und bleiben Sies auch, doch wär es schön wenn Sie sich Ihrer Schwäche stets bewußt wären. –

Am Sylvester 1874.

a gestr.: haben

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
31.12.1874
Entstehungsort
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 9481
ID
9481