Anonym

Anonym an Ernst Haeckel, Berlin, 16. April 1905

Erkenne dich selbst.

1. Korinther I V. 18

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Thorheit dennen [!], die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft. Denn es stehet geschrieben: „Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.“ Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weltweisen? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Thorheit gemacht? Denn dieweil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch thörichte Predigt selig zu machen, die so daran glauben; sintemal die Juden Zeichen fordern und die Griechen nach Weisheit fragen, wir aber predigen den gekreuzigten Christ, den Juden ein Argernis || und den Griechen eine Thorheit, denen aber, die berufen sind Juden und Griechen, predigen wir Christum, göttliche Kraft und göttliche Weisheit.

Denn die göttliche Thorheit ist weiser, denn die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, denn die Menschen sind. Sehet an, lieben Brüder, euren Beruf; nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen; sondern was thöricht ist vor der Welt das hat Gott erwählet, das er die Weisen zu Schanden machte; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, da er zu schanden machte, was stark ist; und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet, und das da nichts ist, daß er zunichte machte, was etwas ist, auf daß sich kein Fleisch vor ihm rühme. Von ihm kommt auch ihr her so in Christo Jesu, welcher uns gemacht ist von Gott zur Weisheit || und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, auf daß, (wie geschrieben stehet) „wer sich rühmet, der rühme sich des Herrn.“

1 Römer I Vers 18.

Denn Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungeechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten. Denn was man von Gott weiß, ist ihnen offenbart; denn Gott hat es ihnen offenbart, damit daß Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird erstehen, so man das wahrnimt, an den Werten, nämlich an der Schöpfung der Welt,“ also daß sie keine Entschuldigung haben; dieweil sie wußten daß ein Gott ist, und haben ihn nicht gepriesen als einen Gott, noch gedankt, sondern sind in ihrem Dichten eitel worden, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. || Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren worden; und haben verwandelt die Herlichkeit [!] des unvergänglichen Gottes in ein Bild gleich dem vergänglichen Menschen, und der Vögel und der vierfüßgen a und kriechenden Tiere.

Darum hat sie auch Gott dahingegeben in ihrer Herzen Gelüste, in Unreinigkeit, zu schänden ihre eigenen Leiber an ihnen selbst, sie, die Gottes Wahrheit haben verwandelt in Lüge, und haben geehrt und gedienet dem Geschöpfe mehr denn dem Schöpfer, der da gelobet ist in Ewigkeit. Amen.

Berlin d. 16.4.05.

a gestr.: Tiere

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.04.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 9458
ID
9458