Paul von Ritter an Ernst Haeckel, Nizza, 2. Februar 1898

Krafts Hotel de Nice

Nice

2n Februar 1898

Hochgeehrter Herr Professor,

Indem ich mich pflichtgemäß beehre Ihnen das Heft der Revue Algérienne v. 12n Juni 1897. N. 24 zur gefälligen Einsicht zu übersenden, – erlaube ich mir Ihre den Gesetzen der Natur stets gewidmete Aufmerksamkeit auf ein in dieser Revue p 752 || beschriebenes lebendes menschliches Wesen zu lenken, welches für das Auge des beobachtenden Entwickelungslehrers ein eclatantes unumstößliches Beispiel von Atavismus und der vielbestrittenen Ansicht der Descendenz des Menschen vom Affengeschlechte liefert und gegenwärtig in Nizza zu sehen ist. – Das betreffende Individuum, wie Sie aus der kurzen Beschreibung der eingesandten Revue || heißt Rham-a-Sama ist 50 Jahre alt, männlichen Geschlechts mit unentwickelten einem Kinde ähnlichen Genitalien, von gefälligem Körperbau, aber mit affenartiger Behaarung am ganzen Körper mit Ausnahme von Händen und Füssen und wurde in den Wäldern von Turkestan in der Gegend des Kaukasus gefangen. – Sein schön gewölbter und mit wallendem Haare geschmückter Kopf und gräulichem Vollbart läßt auf ein|| rühriges Fassungsvermögen schließen, welches Rhama-a-Sama mit der den Affen charakteristischen Neugier für alles Neue auch in der Wirklichkeit besitzt, aber sein prognathisch gebauter Unterkiefer und der haasenartig entwickelte Oberkiefer haben ihm die articulirte Sprache und die Möglichkeit sich verständlich zu machen, geraubt. Rham-a-Sama ist ein strenger Vegetarier und ein leidenschaftlicher Tabaksraucher. – Er soll das Besitzthum eines Russischen Comité’s sein, welches ihn für wissenschaftliche Zwecke angekauft hat. –

Nizza ist für Kranke ein passender Winteraufenthalt und die Elemente einer glänzenden Sonne bei africanischer Vegetation (Latena burbonica, Palmen Musa paradisiaca, Agave americana, Fica berberis, Jucca, Dracenen, Cactus usw.) wirken belebend auf die || Körperzellen. – Das mir geschenkte Werk von W. Bölsche durchblättere ich in meinen Mussestunden und bin glücklich, zufrieden und wahrhaft religiös. – In einigen Tagen wird hier der entfesselte Carneval losgelassen, wozu jetzt Vorbereitungen getroffen werden. – Die Hôtels sind sehr theuer. – Hoffentlich leistet das II der antiseptischen Recepte gute Dienste. – Ihnen Gesundheit und Wohlergehen wünschend zeichne mit besten Grüssen, –

Hochachtungsvoll

Paul Ritter

Pr. Kreuzband die Revue Algérienne

Brief Metadaten

ID
9364
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Frankreich
Entstehungsland zeitgenössisch
Frankreich
Datierung
02.02.1898
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
14,2 x 22,4 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9364
Zitiervorlage
Ritter, Paul von an Haeckel, Ernst; Nizza; 02.02.1898; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_9364