Wiebel, Karl

Karl Wiebel an Ernst Haeckel, Hamburg, 7. November 1860

Geehrtester Herr Doctor!

Ihre Zeilen vom 2tn d. M. fanden mich leider auf dem Krankenlager auf welches mich die gemüthlichen Erschütterungen geworfen hatten, welche der nun bald 8 Monate schwebende Kampf um die bewusste Professur mir bereitet haben. Nicht die unglaubliche Anmaßung meines philologischen und historischen Collegen, welche ohne alle wissenschaftliche Berechtigung mir ihre bessere Einsicht entgegen stellen, sondern die niedrige Verdächtigung, welche meine abweichende Meinung über die Befähigung des Dr. Möbius durch die Tinctur persönnlicher [!] Gehässigkeit abzuschwächen und zu neutralisiren versucht, erfüllte mich mit so sittlichem Eckel, daß die Rückwirkung auf den Körper nicht ausbleiben konnte. Dazu gesellt sich auch die Treulosigkeit einer bestimmenden Persönlichkeit, welche mit mir und den ausgezeichneten Männern der Wissenschaft, die großen || Theils auf meine Veranlassung hier als Bewerber aufgetreten, wie nun offenbar wird, eine schnöde Komödie gespielt hat. Doch ich verzage mich nicht, denn gerade jetzt fallen die Herrn in ihre eigene Schlinge. –

Der Antrag des Pastor Krause, eines Fanatikers für Möbius, wollte die alte Form der Professur der Naturgeschichte nur darum beibehalten wissen, weil er sich wohl denken konnte, daß kein Zoologe in unsrem Sinn des Wortes, nicht nur die Botanik, sondern auch die Direction des Gartens mit zu übernehmen geneigt sein würde. Nachdem Sie nun durch Ihre letzten Zeilen in gleichem Sinne sich ausgesprochen ist Möbius nun allein übrig geblieben. Da man alle Botaniker, welche nur die Zoologie so ins Schlepptau zu nehmen gedachten, wie früher Lachmann, gänzlich unberücksichtigt lassen will, wird die Wahl zum lächerlichen Schattenspiel.

Heute Abend habe ich jedoch in Übereinstimmung mit einflußreichen Mitgliedern unserer Bürgerschaft den Antrag veranlasst, daß die bisherige Professur der Naturgeschichte lediglich für Botanik in Verbindung mit der Direction des || Gartens bestimmt und eine eina neuer Lehrstuhl für Zoologie und vergleichende Anatomie an dem akademischen Gymnasium errichtet werden möge.

Die Hoffnung denselben durchzubringen fehlt mir nicht; allein ich bedarf dabei sehr der Unterstützung und namentlich von Seite unseres ärztlichen Publikums. In dieser Lage könnte der guten Sache das Eingreifen Virchow’s von großem Vortheil sein. Er zählt unter den hiesigen Ärzten ja manche Schüler und eifrige Verehrer. Ermunternde und antreibende Worte von ihmb würden ihre Wirkung nicht verfehlen, was ich schon aus dem Eindruck seiner Zeilen an Dr. Tüngel entnommen. Allein ich kenne Virchow nur ganz vorübergehend und weis nicht wie er solches Ersuchen von meiner Seite aufnehmen würde. Sie stehen ihm dagegen so nahe und können im mündlichen Verkehre gewiß leicht erreichen, was mir unmöglich sein würde. Auch Eile thut Noth, da jetzt das Eisen warm ist. – Den Brief meines verehrten Freundes Braun habe ich noch zu beantworten und werde dies jedenfalls in diesen Tagen || thun und ihn um seine Unterstützung anflehen, damit die wahre Wissenschaft hier gerettet werde. – Ich gebe Ihnen nochmals zu erwägen, ob die neue Wendung der Dinge Sie nicht veranlassen sollte, meinem ausgesprochenen Wunsche zu folgen, und hier den Leuten und Verhältnissen in’s Angesicht zu sehen. Mehrfache Erfahrungen haben mir den großen Werth des persönlichen Eindruckes so entschieden offenbart, daß ich auch Sie neben den anderen Concurenten im Besitze dieses Vorzugs sehen möchte.

Theilen Sie mir baldigst mit, ob und was Virchow zu thun gedenke, damit ich hier möglichst nachhelfe.

Herrn Professor Peters werden von meinem Collegen Aegidi und Petersen so ausschweifende Lobeserhebungen über Möbius in den Mund gelegt, daß ich waerlich nicht weis wo er in der Sprache noch Worte der Anerkennung höheren Verdienstes finden wollte, wenn das Nachgesagte wahr ist. Kennt er denn Siebold’s Bemerkungen zu Möbius Chordotes pilosus nicht?!

Möge der guten Sache doch der endlich Sieg verliehen werden das wünscht von Herzen

Ihr

aufrichtig ergebener

Prof. Wiebel

Hamburg d. 7tn November

1860

a korr. aus: eine; b eingef.: von ihm; c als Entwurfsatz hinzugefügt: „Es bleibt Ihnen in diesem Falle noch überlaßen, sich von der Wahl selbst“

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.11.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9033
ID
9033