Aegidi, Ludwig Karl

Ludwig Karl Aegidi an Ernst Haeckel, Hamburg, 15. November 1860

Hamburg 15. Novbr 60.

Lieber Ernst!

Unser Briefwechsel ist lebhaft. Aber, hatte er auch für uns Beide sein Unangenehmes, so müssen wir doch Beide zuletzt auf den erfreulichen Grund kommen, warum er Ihnen wie mir schmerzlich gewesen ist. Der Grund ist kein andrer, als dass, wenn ich nicht irre, es Ihnen sowenig wie mir gleichgültig ist, sich von dem Andern missverstanden zu wissen. Halten wir uns daran! Sie haben nicht daran gedacht, mir wehe zu thun; ich wahrhaftig auch nicht, gewiss nicht mit meinem letzten Briefe. Und so können wir Beide wohl den letzten Rest von Vorwurf tilgen, den ich mir übrigens neulich schon von der Seele geschrieben hatte.

Brieflich auf die Sache selbst einzugehen verlohnt sich nicht. Ich weiß mit Bestimmtheit, dass, wenn wir uns darüber besprechen, Sie von A bis Z meiner Meinung und Handlungsweise zustimmen werden. Auch meinem „Parteistandpunkte“, wie Sie es nennen. Denn dieser ist ein ganz andrer, als Sie glauben. Die Gewissenlosigkeit, || mit welcher in Briefen an alle Welt die Interna unsrer Verhältnisse ausgekramt und ausgemalt sind, während ich bis zuletzt die Discretion bewahrt habe, die man in collegialischen Verhältnissen an Universitäten lernt und gewohnt ist, hat nach allen Enden Gerüchte ausgestreut, die – milde gesagt – der Wahrheit nicht entsprechen. Ich habe in Göttingen hören müssen, dass ich die Sache der Wissenschaft einem Coterie-Interesse aufopfre! Ich! Nun, ich kenne den strengen Dienst dieser Göttin und brauche mir von einem Dilettanten in Physik und Chemie und Mathematik und Mineralogie (das Alles umfasst der Geist dieses strengen Vertreters der Gelehrsamkeit, der selbst nicht einmal promovirt hat) nicht beibringen zu lassen, was die Naturwissenschaften erfordern.

Doch, wie gesagt, ich will in das Specielle nicht eingehen und muss mich begnügen, zu versichern, dass ich der Sache der Wissenschaft an keinem Punkt etwas vergeben habe. Ich werde übrigens voraussichtlich Gelegenheit gewinnen, dies vor der deutschen Gelehrtenwelt zu beweisen. Bis dahin muss ich die Antastung meines wissenschaftlichen Rufs mir gefallen lassen und kann nicht einmal von Ihnen mit Nachdruck verlangen, dass Sie jenen Anschuldigungen Glauben versagen. ||

Nur zwei Punkte lassen Sie mich noch berühren: Ich habe, als ich Ihre Berufung an zweiter Stelle befürwortete, mich ebensowenig durch eine Rücksicht der Freundschaft dazu bewegen lassen, wie bei dem Vorschlage von Dr. M. an erster Stelle. Meine Ansicht stützte sich auf das Urtheil eines der vorzüglichsten Zoologen, das dahin lautete:

„Zuvörderst begreife ich nicht, wesshalb Sie überhaupt Jemand berufen wollen, da Sie einen ganz ausgezeichneten Zoologen, Dr. Möbius, in H. haben; wenn Sie Jemand berufen wollen, dann würden Sie eine Akquisition ersten Ranges machen, indem Sie Ernst Häckel beriefen.“

Derselbe Zoolog hat diese seine Meinung über M. dem Prof. W. ins Gesicht gesagt und dieser wusste nur zu antworten: „Wenn wir einen Fremden brauchen, dann haben wir ja zwei, den M. u. ihn“!

Ich befand mich mit meinem Gutachten, von allem Persönlichen völlig abgesehen, auf demselben Boden, wie jener Sachkundige.

Denn es handelte sich für uns darum, einen Zoologen zu gewinnen, der später die Botanik abzugeben hätte, sie aber fürs Erste verwalten müsste. Später? warum nicht jetzt? Nun, das hängt mit Vielem zusammen. Ich sage davon nur das Eine: || Unser gesammtes Unterrichtswesen geht einer Reorganisation entgegen; wir erhalten eine neue Oberschulbehörde. In diesem Moment planlos, principlos an einer Stelle ein Flick einsetzen, ist so unsinnig, dass nur die verwerflichsten Motive dazu treiben können. Wir brauchen am Gymnas. nicht nur Eine neue Professur, sondern derer drei, vier, fünf. Bei einer totalen Organisation fragt es sich aber nach einer allseitigen Erwägung; da kann man nicht einseitig dieses oder jenes Fach hervorheben; alle wollen bedacht sein, die zur philos. Facultät gehören; und das als nöthigstes Erkannte zuerst. – Wenn wir einen Zoologen anstellen, der die Botanik einstweilen vertreten kann, dann aber abgeben muss, so haben wir kein Interesse verletzt; auch nicht das der ganzen Anstalt.

Ein zweiter Punkt ist der, lieber Ernst. Sie urtheilen nach den vorliegenden Briefen. Nun hoffentlich doch auch nach den meinigen. Und in diesen steht das Factum, das kein Brief v. W. entkräften kann: er hat sich für Ihre Berufung nicht verwandt; er hat Reichenbach und Stentz vorschlagen wollen und zwar mit dem Bemerken, dass diese Botaniker bereit sind, auch die Zoologie zu vertreten! W. hat übrigens jetzt keinen vorgeschlagen, sondern die Abgabe eines Gutachtens ganz verweigert. –

Ihren Lieben wünsche ich gute Besserung. Möge die Erkältung bald ein Ende haben; dafür stehe ich, dass zwischen uns keine Erkaltung ihren Anfang nimmt. Was ich über den indiskreten Collegen gesagt, ist Ihrer Diskretion empfohlen. Dass ich diskret war, wissen Sie am besten: denn Sie wussten nichts von dem was gegen Wiebel für Sie geschah.

Herzlich

Ihr Aegidi.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
15.11.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9023
ID
9023