Aegidi, Ludwig Karl

Ludwig Karl Aegidi an Ernst Haeckel, Hamburg, 13. November 1860

An Ernst

13 Nov. 60 Hambg

Lieber Freund!

Ihren Entschluss in Ehren! Aber, wenn Sie die jetzt abgemachte Sache reiflich überlegen, so werden Sie auf einen Punct kommen, der Ihnen wehe thun wird. Mehr noch als dem dabei Betheiligten.

Sie waren „verzweifelt“, an Wiebel zu schreiben. Ich will es zugeben. Waren Sie nicht vielleicht verzweifelt, an einen Andern zu schreiben? Und früher als an Wiebel?

Ich erinnere Sie nicht an alte Bande der Freundschaft. Für sie liegt in diesen doch nur der Werth einer entfernten Vetterschaft.

Aber ich darf Sie erinnern, mit wem Sie den Plan der Bewerbung besprachen. Konnte dieser, auch wenn er ein Fremder war, nicht erwarten, von Ihrer Willensänderung in Kenntnis gesetzt zu werden?

Nur dann nicht, wenn er kein Vertrauen verdiente.

Wer hat mich um Ihr Vertrauen gebracht? Sie hatten seit langen Zeiten Ursache, mir Glauben beizumessen und mich zu achten. Sie hatten keine Veranlassung, Andern mehr zu || vertrauen.

Lieber Ernst, ich werde ganz offen. Ihr Benehmen hat mich gekränkt. Es war mir deshalb nicht gleichgültig, weil ich Sie herzlich lieb habe und auch immer lieb behalten werde.

Ich fürchte übrigens, dass Sie ziemlich hart gestraft sind. Für einen Mann ist es wenigstens empfindlich genug, düpirt zu sein.

Keinen Schatten von Verdacht wage ich auf Professor Gegenbauer zu werfen. Aber ich will hoffen, dass er aus eigenem Antrieb und dass nur er an Sie in der abmahnenden Weise schrieb.

Sie fühlen, dass ich zögere, deutlicher zu werden. Indessen ich will Ihnen gegenüber, einem alten Freunde gegenüber, die sonst nothwendige Discretion aufgeben, zumal in der indiskretesten Weise aufa der andren Seite verfahren ist.

Einem meiner Collegen lag Viel daran, Ihren Namen aus der Reihe derer, die unser Gutachten empfahl, gestrichen zu sehen. Es ist vollkommen gelungen. Und zwar so vollkommen, dass ich nichts daran ändern konnte. Nämlich durch Sie selbst. ||

Ich will nichts von Ihrer Unerfahrenheit sagen; denn, bester Ernst, meine Unerfahrenheit übersteigt wahrscheinlich die Ihrige. Aber ich mache neuerdings schreckliche Studien.

Sie schreiben wörtlich:

„Ich hielt mich umsomehr zu diesem Schritt verpflichtet, als Wiebel, der sich für meine Berufung besonders zub interessieren scheint (!), nach Allem was ich c bisher erfahren, sich in durchaus ehrenhafter und zu billigender Weise in meinem Interesse verwandt hat.

Sie würden meine Meinung über Wiebel sehr berichtigen, wenn Sie mir Thatsachen nennen könnten, aus denen das hervorgeht, was ich von Ihren Worten unterstrichen habe.

Das „durchaus ehrenhaft“ war überflüssig, solange Niemand das Gegentheil Ihnen sagte.

Ich kann und will Ihnen aber (wohlverstanden: Ihnen) Thatsachen nennen, die etwas anders lauten. Wiebel sprach ungemein günstig über Sie, nachdem ich mitgetheilt hatte, wie Peters über Sie geurtheilt hatte. Als er aber sich erklärte, wessen Beru-||fung er – Wiebel – empfehlen werde, in seinem (von unserm getrennten Gutachten), das übrigens bis heute noch nicht abgegeben ist, erklärte er vor seinen drei Collegen:

„An erster Stelle: Prof. Reichenbach in Leipzig.

An zweiter Stelle: Dr. Stentz hier“

Reichenbach wird von einem Theil der Börsenfürsten goussirt, Stentz wird von Ärzten ʒ begünstigt. – Gegen Reichenb. hatte W. sich früher auf das Bestimmteste ausgesprochen.

Überdenken Sie, wie gesagt, den ganzen Hergang; überlegen Sie, auf welcher Seite Ihre Freunde standen; und endlich welcher Art Ihre Verpflichtungen gewesen sind und wie dieselben erfüllt worden.

Ich wäre aber begierig zu erfahren, in welcher Weise sich Wiebel „in Ihrem Interesse verwandt hat!“ – außer dass er es erreicht hat, Ihren Namen aus unserm Gutachten getilgt zu sehen, und wie er sich „für Ihre Berufung besonders zu interessiren scheint“, der erklärt, Reichenbach u. Stentz empfehlen zu wollen – Sie aber gar nicht!

Der Wahlaufsatz ist heute nicht gemacht; eine Petition der Ärzte fordert einen Anatomen u. dafür die Mittel des Gymnasiums, das bekanntlich keine medizin Fakult. ist.

Ich reiche Ihnen herzlich die Hand.

Ihr alter Aegidi

a gestr.: ver; eingef.: auf; b eingef.: zu; c gestr.: hier.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
13.11.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9022
ID
9022