Aegidi, Ludwig Karl

Ludwig Karl Aegidi an Ernst Haeckel, Göttingen, 12. Oktober 1852

Freund Ernst.

Dass alle Rücksichten auf Nothdurft der Arbeit, auf Habilitation etc, die freilich sehr brennen, schwinden müssen, wo es meinen theuern Klaas gilt, versteht sich am Rande. Doch ein Andres ist "wollen" − ein Andres: "können". Dies soll keine Ausflucht, kein Nein sein; sondern nur die Bitte, zu glauben, dass, wie spät immer das hiermit angelobte Machwerk eintreffen mag, es früher abzusenden nicht in meiner Macht gestanden habe. Denn, mitten in abstrusen Forschungen und Ausarbeitungen, nahe den ernstesten Entscheidungen für das ganze Leben, wenn auch in vollem Frohsinn − wird es mir schwerer, als früherhin, den Ritt in das romantische Land zu versuchen. Genug, ich werde mich bewähren, soweit ich kann.

Jedenfalls richte ich es zum Ablesen ein und die dabei erforderlichen Gruppen werden leicht herzustellen sein. Möglicherweise spielt der Raubritter auf Ziegenrück − à la fliegende Blätter − eine Figurantenrolle. − −

Nun, Deine Angelegenheit. Ich fragte Georg Meißner, einen ausgezeichneten jungen Mediziner, der gegen Weihnacht promoviren will, aber als Amanuensis von Wagner bereits eine eminente Probe seiner wissenschaftlichen Befähigung („Nerven“) gegeben hat. Er sagte mir: Voraussichtlich würden hinreichend viel Leichen sein; Überfluss, der ja auch nicht nöthig, sei freilich nie vorhanden. In Betreff Henle's ist ja noch Alles neu; Niemand weiß, wie er es zu halten gedenkt. Angekündigt hat er sowohl allgemeine als auch spezielle Anatomie. Ehe das Semester anhebt, kann Keiner wissen (außer etwa für Würzburg), ob sehr viel Zuhörer sich einstellen || werden. Voraussichtlich dasselbe Verhältniss wie bei den Leichen. − sit verbo venia − hinreichend, kein Überfluss. − Im Nothfall, wenn ich bestimmt wüsste, dass Du kommst, könnte ich Dir bei Henle einen Platz belegen.

Eine andre Bedenklichkeit betrifft die Wohnung. Die besten (d. h. gesunden, freundlichen, wohlfeilen, bei guten Wirthen) werden bald vermiethet sein. Wohlfeil sind hier freilich noch die theuersten. − Wenn Du Dich nach reiflicher Überlegung entschlossen hast, so gib mir, obwohl es immer misslich ist, Auftrag zu miethen.

Zoologie wird gar nicht oder schlecht gelesen. Mineralogie gut bei Hausmann, allerdings besser noch im Sommer bei Sartorius von Waltershausen.

Den Katalog schicke ich Dir noch.

Als treuer Göttinger bin ich natürlich ein verdächtiger Zeuge. Da Du das aber weißt, so kann ich mit gutem Gewissen versichern: Für die ersten Semester ist nach der einstimmigen Meinung erfahrner Mediziner keine Universität der Georgia Augusta vorzuziehen. Ferner eröffnen sich, so Du anders kein Kalmäuser sein willst, außer der schlichten Stube Deines k. Freundes, wie auch Esmarchs, Dir die angenehmsten Familienkreise von Medizinern u. andern Professoren, endlich auch vortreffliche Studentenkreise aller Farben u. Gattungen zu beliebiger unvorgreiflicher Auswahl. An geistigem und speziell fachwissenschaftlichem Gedankenaustausch fehlt es hier keineswegs.

Empfiehl mich Deinen verehrten Eltern und Tanten und habe Geduld mit dem armen Poeten, einem Wesen, das im Grunde völlig entfremdet ist

Deinem Freunde

Ludwig Karl Aegidi.

Göttingen 12 Okt. 52.

Jahrestag des Einzugs

von Klaas, Meyer, Esmarch

u. mich zu Heidelberg 1844, vor der

großen Reise ||

Ja N.B.: Dass Esmarch und ich der gütigen Einladung nicht Folge leisten können, ist traurig für uns. Esmarch fängt sein Kolleg Anfang nächster Woche an und, obwohl ich vor Weihnacht schwerlich lesen werde, kann gerade desshalb noch weniger. Im Geiste sind wir Zeugen der Trauung.

Nun 2 Bitten:

1.) um gütige Besorgung der Einlage. Eilt nicht sehr.

2.) Gelegentlich Hrn G. Reimer für seinen lieben Brief von Herzen zu danken; er ist so liebenswürdig u. ermuthigend gewesen, wie noch jeder bisher, durch den er mich beehrt hat.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
12.10.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 9019
ID
9019