Aigner, Eduard

Eduard Aigner an Ernst Haeckel, München, 9. Januar 1919

deutscher monistenbund

geschäftsstelle

geschäftsstunden: 9‒1 und 3‒6 uhr

fernsprecher: nr. 21786

zahlstelle: Postscheckamt münchen konto 1159

des deutschen monistenbundes

münchen, den 9. Januar 1919.

Theatinerstr. 33/II.a

An den

Gesamtvorstand des D.M.B.

Zahlreichen Anregungen folgend, die uns aus Bundeskreisen zugegangen sind, die teilweise mit Nachdruck die derzeitige Untätigkeit des Bundes abfällig beurteilten, möchten wir die augenblickliche Lage des Monistenbundes zu kennzeichnen versuchen.

Die politischen Umwälzungen haben allen freigeistigen Organisationen und damit auch dem Monistenbund unerwartet die Erfüllung langersehnter Wünsche gebracht. Für viele unserer Mitglieder bestand in der Erkämpfung von Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie der Gleichberechtigung aller religiöser Bekenntnisse ein Hauptziel der Bundesbestrebungen. Sie halten zum Teil unsere Organisation nunmehr für überflüssig. Wir stehen dagegen auf dem Standpunkte, dass die geschaffene günstige Lage mit allen Kräften in aufbauendem Sinne auszunützen ist. Durch die Verhältnisse des Krieges, die einen Teil unserer Mitglieder der organisatorischen Tätigkeit entzogen, kam es nun, dass wir nicht nur unerwartet, sondern auch im gewissen Sinne unvorbereitet der augenblicklichen Erfüllung, der erwähnten Wünsche gegenüberstehen. Das wird sich durch organisatorische Arbeit bald nachholen lassen.

Unseres Erachtens stellt die derzeitige politische Lage ein Provisorium dar, grundlegend könnten sich die Verhältnisse nach den Wahlen wieder ändern, in mancher Beziehung oder an manchen Orten durch eine reaktionäre Mehrheit im Parlament sich für uns wieder ungünstiger gestalten. Von diesem Gesichtspunkte aus möchten wir vor jeder übereilten || Festlegung warnen. Organisatorisch erscheint dadurch, dass der Bekennermut unserer Anhänger durch die augenblicklich mehr tolerante Staatsleitung eine unbeschränktere Betätigung möglich ist, der Boden fruchtbarer. Einen Zusammenschluss der freireligiösen Gemeinden zu einer Landesgemeinde, wie es in Baden in den letzten Wochen geschehen ist, haben wir in Bayern eingeleitet. Die Anstellung von Lehrern für konfessionslosen Moralunterricht ‒ unserem wichtigsten Programmpunkt ‒ fördern wir ideell und materiell. Der Unterrichtsplan gibt noch Anlass zu Meinungsverschiedenheiten; wir arbeiten an deren Klärung. Der Wiederaufbau und Zusammenschluss unserer Ortsgruppen, die durch den Krieg beträchtlich gelitten haben, erscheint uns jetzt unsere Hauptaufgabe. Mit den geplanten Vorträgen Prof. Wahrmunds, Trennung von Kirche und Staat, haben wir unsere Tätigkeit nach dieser Richtung hin begonnen. Auch Prof. Verweyen haben wir zu einem Vortrag „Revolution und Geist“ gewonnen.

Ganz im Gegensatz hiezu erscheint uns augenblicklich z. Zt. der Wahlagitation in Bayern ein öffentliches freigeistiges oder antikonfessionelles Auftreten nur geeignet, die allseits hier zündende Parole „die Religion ist in Gefahr“ noch zu verstärken und die aus Sicherheitsgründen nach rechts rückenden Wähler noch mehr in das Lager der Reaktion zu treiben. Es mag zugestanden werden, dass anderwärts örtliche Verhältnisse die Lage von anderen Gesichtspunkten aus beurteilen lassen.

Auf jeden Fall möchte die Geschäftsleitung kundgeben, dass sie für alle Anregungen dankbar ist und nach Kräften eine Belebung der Bundestätigkeit begrüsst.

Geschäftsstelle des D.M.B.

gez. Dr. E. Aigner.

a gestr.: hartmannstr. 8/II; eingef.: Theatinerstr. 33/II.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.01.1919
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8885
ID
8885