Aigner, Eduard

Eduard Aigner an Ernst Haeckel, München, 17. Februar 1907

Dr. Eduard Aigner

prakt. Arzt

München, Göthestraße 49

München 17. II. 07.

Hochverehrter Herr Professor!

Gestern war Ihr Geburtstag und ich habe im Trubel der augenblicklichen Aktion der Münchner Ortsgruppe es unterlassen, mit meinen Wünschen unter den Gratulanten zu erscheinen.

Umsomehr habe ich von Ihnen gesprochen und manche Ihrer früheren Correspondenzen wurde hervorgeholt und von Neuem durchlebt.

Allein eine Stunde debattirte ich mit Dr. Hirth, der mir einen finanziellen Zuschuß geben sollte leider war all’ mein || Mühen umsonst. Der gute Mann scheint auch aus verschiedenen Gründen nur halb unserer Sache anzugehören.

Meine Wünsche zu Ihrem Feste brauche ich wohl kaum zu praecisiren; ich denke daran, wie Sie von der Ammerbacher Platte heruntergekraxelt sind und wünsche, daß ich Sie noch recht oft so elastisch herunterkraxeln sehen dürfte, besonders wenn mich das erfreuliche Gedeihen des Bundes nach Jena riefe.

Als Geschenk lege ich den Ausschnitt der Neuesten Nachrichten bei. Eine Annonce, die ich an Ihrem Geburtstage aufgab und die hoffentlich zum Wachsen und Gedeihen unserer Ortsgruppe || und so des Bundes beitragen wird. Wir haben sie mit bestem Können und Streben zusammen ausgearbeitet und hoffen, daß sie Ihnen gefällt, und Ihren Tendenzen entspricht.

‒ ‒ Von hier kann ich viel Neues erzählen; der aktive Professor der technischen Hochschule hier, Heinike, hat einen Vortrag über „Glauben und Wissen in der Elektrophysik“ gehalten, der Saal war gefüllt; Siebert ist als Vorstand zurückgetreten und Faltin an dessen Stelle gerückt. Alles geht gut, sogar sehr gut. Ich selbst nur brüte darüber nach ob diese nervösen Herzstörungen das Symptom der Klimax Descendens in meinem bisher recht erfolgreichen Dasein sein sollen oder ob es wieder anders werden soll. ||

Gestern hat Thiele telefonirt um mir seinen Besuch anzumelden; ich habe ihn gebeten mich entschuldigen zu wollen und den Besuch zu unterlassen, mit Rücksicht auf mein Befinden. Dieser gute Thiele ist nun einmal für mich die Verkörperung aller Gegenströmungen und Aergernisse die meine Praesidentenstelle mit sich brachte.

Der Umstand, daß es mir wirklich bedeutend besser geht und nur von Zeit zu Zeit diese nicht zu bannenden Vorstellungen mich noch quälen, läßt mich annehmen, daß mein Rücktritt gerade noch zur rechten Zeit erfolgte. –

Zeitweise höre ich noch von den Ortsgruppen, besonders rege Anfragen richtet die Paldorf an mich, wo ja || Schmidt dieser Tage gesprochen haben wird. Sonst aber ist’s ruhig, für meine Auffassung zu ruhig geworden an meinem Schreibtisch. Eine Buchhalterin erledigt meine Münchner Correspondenz, die Briefe stenographirt sie nach meinem Diktat und so habe ich mir die seinerzeit so lästige Schreibearbeit vom Halse geschafft.

Meine Frau fängt an wieder aufzuleben, da die täglichen Briefe nicht mehr die Schmidt – Steudel- Carstens – Breitenbachschen Schriftzüge tragen und infolge dessen nicht mehr die geistige Absorption wie früher verlangen.

Oft quäle ich mich, wie es nun werden soll und da bin ich Dr. Schmidt || recht dankbar, daß er mir durch seine Schweigsamkeit, keine Gelegenheit gibt, Fäden weiter zu spinnen.

Lassen wir die Frucht langsam reifen, langsamer als es meine sanguinische „Temperatur“ eigentlich verlangt und sie wird vielleicht besser reifen.

An zwanzig Neuanmeldungen kann ich bereits wieder der Geschäftsstelle melden und das muß zufriedenstellen. 400 hoffe ich in Bälde erreicht zu haben.

Lesen Sie hochverehrter Herr Professor in unserem beiliegenden Aufrufe den Erfolg den Ihre Lehren auf die deutsche Jugend bereits ausgeübt und nehmen Sie bitte diesen Erfolg und das heiße Streben das in unseren || Worten liegt als Geburtstagsgeschenk der Münchner Ortsgruppe.

Mit den besten Wünschen

grüßt Sie

Ihr

getreuer, ergebener

Dr. Aigner.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
17.02.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8843
ID
8843