Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 17. ‒ 22. Februar 1897

Rechtenfleth

d. 17 Fbr 97

Mein Herzenshaeckel

Heute jährt sich wieder Dein Ehrentag dessen unvergeßliche Stunden

wieder glänzend und farbig vor meiner Seele stehn vor allem seit mich jüngst Deine überraschenden Zeilen plötzlich nach ‒‒ Messina riefena dem Orte, wo b die schöne erste Phase unsrer Freundschaft abschloß. ‒ Ich nehme daraus an, daß es Dir, wie den Deinen, gut geht und feire den Tag, indem ich heute meinen || Brief c an Dich beginne. ‒ Die Osterferien wirst Du nun natürlich im lieben Süden verleben, was meine Frühlingspläne freilich kreuzt. Ich wollte die Festzeit noch in Berlin sein und die rechte Blüten und Knospenentfaltung im lieben schönen Thüringen begrüßen natürlich auch Jena, nachdem Dein reizendes Bilder- und Dichterbüchlein meine Sehnsucht recht angefacht hat. Ich wills nun anders einrichten. Das Wie weiß ich freilich noch nicht, doch: „Ich wandre vor Allem im Frühling gern

Wenns grünet und blüht rings Nah und Fern,

Wenn die Bäche noch eilen mit freudgem Gebrause

Und die Freunde noch weilen mir Alle zu Hause“ ‒

Du kennst doch mein Wandergedicht, das also beginnt. Es ist mein letztes und wirds auch sicher bleiben, obwohl es Keiner aus einem fünf und siebenzig jährigen Herzen entstammt hält. || Nur ein sehr feiner Blick könnte in diesen Versen merken daß d sie ein Greis geschaffen. Du sollst einmal das Merkzeichen errathen. Am meisten zeigt sich das Alter bei mir in der zunehmenden Vergeßlichkeit kleiner kürzlich erst geschehener Vorfälle und des Gleichmuths bei Freud und Leid während ich auch wieder Einiges inniger empfinde als je. Z.B. die Schönheit des Frühlings und das leise Knospen und Entfalten wie die Heiligkeit der Heimat was ich Beides nie in der Jugend so tief empfunden.

Denk aber was sich jüngst bei mir schon einmal wiederholte. Mitten im fröhlichen Schlendern mit einem Neffen und bei völligem Wohlgefühl verlor ich plötzlich die Sprache so daß ich den Wortausdruck nicht finden konnte, aufs Klarste sonst aber zu denken vermochte. Das dauerte eine ganze Stunde, schwand aber dann ganz wie es gekommen ‒ das ist doch sicherlich so ein klein Schlagflüßchen oder Schlagbächlein gewesen, wie ichs genauso vor 3 Jahren hatte. Der dunkle Geheimnißvolle hat einmal schüchtern angeklopft und ging ‒‒ auf Wiedersehn. Ists nicht so? ‒ Mache mir aber sehr Wenig daraus. ‒

Wirst Du Dir denn nicht in diesem Jahre vornehmen, unsere Marschen einmal zu besuchen? Du glaubst nicht, wie interessant sie in den letzten Jahren geworden sind und was selbst kürzlich erst Alles entdeckt ist. Unweit Bremerhaven z.B. ein großes Urnenfeld mit einem von Steinblöcken umhegten Verbrennungsplatz in seiner Mitte, ringsherum eine Menge schwarzer altgermanischer Urnen und darunter verschiedne || feine reizende und mit Reliefs von Pflanzen und kämpfenden Thieren geschmückte römische Gefäße. Alles etwa 3 Fuß tief in der Marscherde, dann noch etwas tiefer im Moore einen fast wohlerhaltenen 7 Fuß langen alten Germanen, angethan mit kurzem Wollmantel, kleinem kittelartigem Rocke (Tunika) und eigenthümlichen Schuhen aus einem einzigen Hautstück bestehend, endlich an einer noch anderen Stelle nicht weniger als 18 sehr schön geformte zum Theil an ihrer Henkelanfügung mit einer Maske gezierte römische Erzeimer.

Du kannst denken wie mich jetzt das herrliche Wandgemälde freute „eine Römerlandung in den Marschen“ darstellend, mit der Meister Knille schon vor 30 Jahren prophetisch mein Haus schmückte. ‒

22. Fbrf

Aber wann wirst Du je mein Heim einmal wieder betreten. Mit wahrer Wehmut fange ich bereits an darauf zu verzichten.

Aber auch aus dem lieben Süden sende mir bald ein herzerfreuend Blatt ehe Du ihn verläßt.

Dein Dortsein ist mir ein Zeichen, daß die Deinen zu Hause wohl sind und schließe mit den besten Grüßen für sie meinen Brief; denn nicht weniger als 38 Stück die Alle der Elfte brachte sind noch zu erwiedern. So leb denn wohl und bleib ferner was Du bist

Deinem

Hermann Allmers

a eingef.: riefen; b gestr.: sich; c gestr.: be; d gestr.: es; e eingef.: freut; f eingef.: 22. Fbr

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
22.02.1897
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8728
ID
8728