Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 20. März 1895

Rechtenfleth

20 März 95.

Herzlieber Haeckel.

Einen erinnerungsseligen Geburtstagsbrief wollte ich Dir schreiben und freute mich selbst dazu. Aber das Fatum in Gestalt eines nothwendigen und plötzlichen Ausflugs nach Hannover der fast zwei Wochen hinnahm und an den sich dazu eine Bremer Woche fügte trat verbieterisch (sagt man das wohl) dazwischen und so komme ich denn erst jetzt dazu, jetzt aber namentlich dazu durch zwei Häckelbriefe zu angeregt den ersten äußerst wohlthuenden und eingehenden vom lieben in häuslichem || ehelichem und Vaterglück schwelgenden Julius und den andern kaum minder erfreulichen von unserm Walter aus München-Schwabing. Auch sein Brief drückt die vollste Zufriedenheit und Freude aus, vor Allem über sich selber und a seinen allein rechten und selig machenden Glauben in derb Kunst, über seine 9 ausgestellten Bilder und über die durch sie hervorgerufenen hoch erfreulichen Kritiken. Was will man mehr! Somit ists also das Vernünftigste für uns beiden Alten: wir freuen uns in seiner Seele mit ihm wenn wir das auch nur mit gemischten Gefühlen zu thun vermögen. Aber weil wir den sonst so liebenswürdigen Jungen auch lieb haben wollen wir schon über das Dilemma || wegkommen. Und so habe ich ihn denn nochmals aufrichtig eingeladen sich doch nächsten Sommer in der interessanten Malercolonie von Worpswede (nahe bei Bremen) wenigstens auf ein paar Wochen nieder zu lassen. Am 7tn April tritt dieselbe als „Malerschule vom Weyerberge“ zum ersten Male in Bremen mit einer Collectivausstellung von 160 Oelbildern und vielen Studien Zeichnungen und Radirungen vor die Schranken, davon das größte Bild (Mackensens „Gottesdienst im Moore“) bereits in Berlin ein solches Aufsehen machte, daß man schon davon spricht es für die Nationalgallerie anzukaufen. Von Bremen geht dann die ganze Ausstellung nach München ins Lokal der Secessionisten, und dann ‒‒‒ gar nach Paris.

Da es nun einmal so ist, so sollte michs außerordentlich freuen, gesellte sich auch Walter c bald zu den Worpswedern, schon allein weil so Viele wirklich tiefer gebildete Leute dabei sind mit denen ich schon sehr || nette und intressante d Abende e dort hatte. Und endlich hätte ich Walter in meiner Nähe dadurch, ja vielleicht einmal selbst Dich noch f zu einem Besuche g dann herlocken können. So bitte ich Dich, unterstütze mich in meinen Bestrebungen. Dann natürlich soll er auch den nahen Hasbruch sehn und zusammen mit h uns Beiden geht es dann in den Urwald bei Wilhelmshaven von wo täglich ein Dampfer nach Helgoland fortan fahren wird. ‒ Vielleicht, daß er doch noch zu retten ist.

Und nun zum Schlusse nimm aus freudigem Herzen, Du lieber, unermüdlicher und herrlicher Kämpfer für Freiheit Wahrheit und Schönheit meinen innigen Händedruck für den neuesten Beweis Deiner Unwandelbarkeit, ich meine, für Deine prächtige Schrift „Die Wissenschaft und der Umsturz“ die mir zum Theil i auf einer polit. Volksversammlung als

mir die Galle überlief soj wundervoll zu Statten kam, daß Du selbst Deine helle Freude darüber gehabt hättest, und, denke Dir das Zusammentreffen! || in einem Saale in dem ich k einst im Jahr 1848 an demselben Tage für die heilige Sache geistiger Freiheit (Freiheit der Presse, des Versammlungsrechts und der Rede usw.) feurig erglühend schon meine Stimme erhoben hatte. Aber noch am selben Abend schon meldete der Telegraph aus Hannover den vollsten und herrlichsten Sieg des Volks, dessen gerechte Forderungen denn auch bis zum letzten Tittelchen die edle Regierung unter Zittern und Zagen bewilligtl hatte. Das war ein Siegesjubel. ‒ Ich weiß es noch als obs in der vorigen Woche gewesen sei. Aber auch diesmal war mir genau wieder zu Muthe wie mir’s war, als ich in jenem unvergeßlichen || März auf der Volkstribüne stand. ‒

Uns mein Junge und Dir vor Allem würde es bös an den Kragen gehn wenn das Umsturzgesetz durchginge. ‒ Aber dafür ist mir diesmal auch nicht im Allergeringsten bange. So dumm ist man da oben sicher nicht, das zu leiden, wäre mans, hätte sichs ja schon bei der Schulgesetzvorlage gezeigt.

Hast Du Pläne für die Osterferien? Ich trage mich nur mit einer schönen Frühlingsfahrt nach München, in die Alpen und mit schwäbischer Heimwendungm herum. Aber fest bestimmt ist noch Nichts dabei. Mir geht es jedoch, wie ich’s nur wünschen kann, nur || mit dem poetischen Schaffen könnte es frischer und kräftiger sein.

Gegenwärtig schreibe ich an meinen Lebenserinnerungen zunächst für meine Freunde. ‒

Vielen Dank auch für die hochinteressanten Boltzschen Vorträge: Vasantasena und das Veda Volk. Vor Allem aber die herzlichsten Grüße von Haus zu Haus inclusive meinenn liebens o würdigen Gastfreund in den festlichen Tagen des vorigen Februars, Professor Biedermann.

Und so leb wohl auf baldig Wiedersehn und bleibe was Du warst und bist

Deinem alten treuen

Hermann Allmers

a gestr.: daß er; b gestr.: seiner; eingef.: der; c gestr.: im; d gestr.: Stu; e gestr.: ha; f gestr.: herlocken; g gestr.: herzulocken; h gestr.: Dir; i gestr.: bei; j eingef.: so; k gestr.: an d; k gestr.: nachgegeben; m gestr.: Heimweng; n gestr.: dem; eingef.: meinem; o gestr.: Fre

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
20.03.1895
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8724
ID
8724