Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 9. Dezember 1894

Rechtenfleth

d. 9 Dbr 94

Mein Herzlieber.

Halt mir etwas zu Gute, daß meine Erwiederung Deines letzten Briefes so sehr Du mich damit erfreutest, erst jetzt bewerkstelligt wird. Und auch jetzt noch wird mein Schreiben gegen das Deine armselig erscheinen, denn so schön, so herzerquickend und zum Theil auch für mich sehr interessant, wie das Jahr seit den herrlichen Tagen von Jena auch verging, so brachte es mir doch von dem, was Dich interessiren würde äußerst Wenig, weil, einige Ausflüge abgerechnet (deren weiteste a auch nur bis zur Seeküste und nach Nordfriesland gingen) mein Dasein nur der lieben || alten Heimat gewidmet war. Belebt und verschönt ward es jedoch durch viele viele Besuche lieber herrlicher Menschen, obenan den meines lieben alten römischen Colonnagenossen Professor und Baurath Tiede aus Berlin wo man ihn und mit Recht, mit dem Epitheton „der letzte Grieche“ belegt hat, womit natürlich gemeint, daß er noch der schönen feinen und edeln Schule Schinkels angehört, während das rohe Barockwesen der heutigen Tage seiner feinsinnigen Natur aufs Tiefste zuwider ist. Er wohnte zum Theil als mein Herzensgast, zum Theil als Pensionär meines baumlangen Neffen fast anderthalb Monate bei uns und sein Umgang war b auch für meine kunstsinnigen beiden Nichten ebenso anregend und belehrend wie beglückend. Mir ist seine innere Natur freilich etwas zu sensitiv und zart, denn || auch etwas derben Humor verlange ich im Leben wofür mein Freund leider fast gar kein Verständniß hat. c Nach dieser Seite hin kann ich zu meiner echten Befriedigung d über unsern lieben Walter doch nicht klagen. Wie gespannt bin ich fort und fort auf die Ergebnisse seines Strebens, und kann ihm noch kaum vergeben daß er meinen so innigen Wunsch ihm die herrlichen Wunder des Haßbruch und namentlich die des Neuenburger Urwalds zu zeigen, stets so kalt von der Hand wies. „Verschone mich doch mit solcher Decoration“ hieß es stets aus seinem Munde, wenn ich von Neuem davon zu preisen anfing. e Traurig that ichs denn auch zuletzt. -

Seit 4 Jahren denke Dir hat sich nun einige Meilen nördlich von Bremen in ödester Haid- und Moorgegend eine Malercolonie aufgethan von der ich gegen ihn damals ärgerlich kein Wort sagte. || Kommt er jetzt einmal zu mir möchte ich ihn hinführen nach Worpswehde wie dort das Dorf heißt, wo dasf Hauptquartier jener Maler ist. In diesem Sommer waren etwa 10 bis 12 dort, natürlich Alle der modernsten Richtung angehörend, sonst aber alleg hochgebildete Menschen von den feinsten Formen echter Weltbildung, und h allen möglichen Gegenden und Akademien München, Berlin und Düsseldorf, welches i jedenfalls die Bedeutendsten geliefert hatte namentlich vortreffliche Radirer nach der Natur z. B. ein gewisser Hans am Ende Schüler von Eugen Bracht, dem echten Schilderer der Poesiej der Haide und Wüste so wie Mackensen von dem die nächste große Berliner Ausstellung ein riesiges und sehr bedeutendes Werk, genannt Moorpredigt, zeigen wird und noch Andere. Ich war k schon jedes Jahr ein oder zweimal zum Besuche unter ihnen, gradezu ein hochgefeierter Gast und habe l auch wirklich sehr interessante frohe Tage durch sie verlebt, so daß ich jetzt selbst unsern Walter hinführen möchte, denn, so Viel habe ich längst erkannt: seine Leute findet er dort in den famosesten Exemplaren, || die ich eben so wenig wie Walter für Hude, den Haßbruch und Urwald zu bewegen vermochte. Was meinst Du, soll ich den lieben Jungen einmal dazu wirklich einladen, ich möchte es thun so schwer es auch meinem Herzen wird. Denn Eines ist bei den Worpswehdern vorhanden, was wie Du denken kannst, nicht Wenig ins Gewicht fällt: Poesie haben sie im Leibe das ist sicher, m das habe ich längst gemerkt; dazu ist zugleich der reizendste Humor vorhanden und bei der Gründung ihres beschloßnen Malerheims haben sie mich schon jetzt für nächstes Jahr zum Vorsitzenden ernannt, ja sie haben bereits feste Absicht eine eigne Malerschule zu gründen wo möglich unter dem bedeutendsten aller Haidemaler unter Bracht und Haid’ und Moor soll son verklärt und verherrlicht werden daß die Annalen der Kunstgeschichte d. h. die der Landschaftsmalerei mit dem letzten Jahrzehnt des Jahrhundert’s eine neue Aera mit Worpswehde beginnen lassen. ||

Auch Freund Focke in Bremen beginnt sich jetzt für die Worpswehder Schule warm zu interessiren und ich o endlich knüpfe für mich selbst die schönste Hoffnung daran. Und welche? ‒ Wenn erst Walter bei uns in Moor und Haide schwelgt kommst sicher auch Du p in den ersten Ferien es mal in Worpswehde in der dortigen unter Hermann Allmers entstandnen herrlichen und traulichen Künstlerkneipe q mit zu versuchen. ‒

In dieser allerherrlichsten Hoffnung Eurem lieben Hause den herzlichsten und schönsten Weihnachtsgruß Euch Allen von

Deinem alten viel getreuen

Hermann Allmers.

(Wenn Du’s riskiren willst bitte so lasse Walter diesen Brief lesen.)

a gestr.: sich; b gestr.: un; c gestr.: Die; d gestr.: nicht; e gestr.: Seu; f korr. aus: was der; g korr. aus: alles; h gestr.: aus; i gestr.: di; j gestr.: Oede; eingef.: Poesie; k gestr.: fr; l gestr.: mich; m gestr.: da; n eingef.: so; o gestr.: selbst; p gestr.: sofort; q irrtüml. doppelt: es mal

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.12.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8723
ID
8723