Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 19. September 1893

Rechtenfleth 19 Spt. 93.

Mein herzlieber Haeckel.

Nach 4 fröhlich verlebten Wochen in denen er mir, wie meinen Hausgenossen lieb und werth geworden ist, hat uns vorgestern unser lieber Walter verlassen, um wieder auf dem Wege auf dem er zu uns kam, nach dem Orte, von wo er kam, zurück zu kehren.

Im Grunde wäre Dir mit diesen Worten fast Alles Positive über ihn berichtet, was zu berichten der Mühe werth war. Ich kanns und darf es aber nicht lassen, Dir auch vom Negativen Bericht zu erstatten, so leid es mir in der Seele auch thut.||

Warum ist er nun hier gewesen, muß ich jetzt fragen, was hat ihm der Aufenthalt bei mir genützt? ‒ Ich finde kaum Antwort. ‒ Er ging, wie er kam, denn was meine Worte nicht vermochten sollte, wie ich mir fest einbildete, ein mehrtägiger Ausflug zu den landschaftlich malerischsten Puncten und Gegenständen meiner Heimath thun, zumal die unsäglich schöne Zauberwildniß a des kleinen Stücks Urwald bei Neuenburg, unweit Wilhelmshaven, zum allermindesten sollten seine wundervoll verschlungenen und Epheu geschmückten Eichen ihm den Stift oder Pinsel in die Hand drücken, diese sicherlich noch nie geschaute Formenherrlichkeit sich fest zu halten. Aber ‒ war er, denke Dir, wohl überhaupt zu bewegen, || sie auch nur einmal kennen zu lernen? Die ersten Wochen hindurch war allerdings das Wetter dazu nicht geeignet, doch auch später, als der köstlichste sonnigste Septemberhimmel Alles umfing und ich Alles und Alles versuchte ihn zu überreden, war er nicht dazu zu bewegen, weil das doch Nichts als „decoratives Zeug“ wäre mit dem er Nichts anfangen könne, ja dessen Studium ihm in seiner Richtung sogarb weit eher schaden als nützen könne. ‒ Doch Du wirst seine derartigen Redensarten sicher selbst schon längst kennen. Ebenso war er nicht mal zu bewegen, in der herrlichen Kirchenruine zu Hude wenigstens einen einzigen Zug vorübergehn zu lassen. Ruhig hat er sie denn auch seitwärts liegen lassen und sauste c hart daran vorüber. || Ja, nicht einmal hier hat er sein Malzeug angerührt, obwohl er einige ihm sehr zusagende Motive entdeckte. Somit kann ich denn über sein Können auch ganz und gar nichts sagen, sondern nur sein Nichtwollen beklagen, mich mit der Hoffnung tröstend: daß er wahr redet wenn er sagt: ich solle schon durch seine in Wotrum geschaffenen Werke versöhnt werden. O was gäb ich drum, käme es so! Denn ich hab den wackren Jungen sehr, sehr lieb gewonnen. ‒

Übrigens gefiel es ihm ausnehmend in Rechtenfleth und manche geistanregende und herzerquickende Stunde hat uns in Ernst und Scherz treulich vereint. ‒

Mit größter Theilnahme habe ich Deine „Urbewohner Ceilons“ gelesen und Dir dabei oft im Geiste dankend die Hand gedrückt. Manches möcht ich noch mit Dir darüber reden. ‒ Anderes zu anderer Zeit. Leb wohl denn bis dahin und sei sammt Weib und Kind herzlich gegrüßt von

Deinem treuen

H. Allmers.

a gestr.: des; b gestr.: sogar; c gestr.: di

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.09.1893
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8720
ID
8720