Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 19. Januar 1893

Rechtenfleth

d. 19. Jan 93.

Herzliebster Haeckel

Habe vielen und innigen Dank für Deinen lieben so viel Herzerfreuendes enthaltenden Weihnachtsbrief. Ich denke doch daß dieser Dank Dich dort noch trifft und der strenge Winter Dich noch nicht zu den hesperischen Gefilden getrieben hat sintemal derselbe da drüben ja kaum weniger gräulich haust als bei uns, denn was die Zeitungen darüber bringen ist ja

geradezu entsetzlich. ‒

Diese Zeitungen nun melden zugleich Etwas das die Veranlassung zu meinem Briefe ist: nämlich die Berufung Eures || wackren Germanisten Kluge nach Freiburg. Sofort habe ich dabei eines Wahlneffen gedacht der sicher außerordentlich geeignet wäre in Jena seinen Platz zu vertreten. Es ist der junge Dr. phil. germ. Theodor Siebs Privatdocent in Greifswalda ein echter freier Friese, wenn auch in Bremen geboren und b ein ebenso liebenswürdiger

prächtiger Kerl, wie ein Gelehrter seines Faches c der schon vielfach durch seine germanischen Arbeiten (angelsächsisch-friesisch) die Aufmerksamkeit seiner Fachgenossen auf sich gezogen hat. Studirt hat er freilich nicht in Jena aber wie glücklich er wäre einmal an dieser d lieblichen Stätte geistiger Freiheit seine Wirksamkeit zu entfalten hat er mir zu wiederholten Malen selbst schon als Student mitgetheilt.

Außer jenen älteren Sachen liest er auch Geschichte der deutschen Lyrik die er bis in die neueste Zeit also bis auf Hermann Allmers || den bekannten Marschendichter fortführen will, und vor Allem ‒, ich wüßte keinen Ort wo ich ihn lieber hätte als eben im alten lieben Jena, denn nur solche Prachtkerle wie Du einer bist und er obwohl noch ohne Strahlengloria ums Haupt passen für Jena, das uns sicher noch mal dankbare sein wird, wenn es erfährt, daß wir Beiden durch nachdrückliche Hinweisung auf ihn solch Verdienst umJenas Wohl erworben haben.-

Auch Kluge dessen treffliches etymolog. Wörterbuch stets auf meinem Schreibtische sich befindet muß mitwirken, denn einen so wackern f und so liebenswürdigen Nachfolger ist sicher nicht leicht zu finden [!]. Sprich doch ja mit ihm in dieser Sache in welcher auch ich meinem Theo noch heute schreiben will. Doch jetzt genug davon.

Von Deiner lieben Lisbeth der ich ein Exemplar der neuen Aufl. meiner Dichtungen zum Weihnachten sandte || erhielt ich kürzlich ein reizendes und herziges Brieflein dafür. Wie dumm war ich, daß ich sie nicht am Weihnachtsabend bei Euch denken konnte.

Mir geht es so gut wie’s nur kann. Sogar floß mir von Neuem der Liederquell, nämlich ein Friesenlied ist entstanden an das ich die höchsten Hoffnungen knüpfe, weil Wort und Weise desselben, wo ichs erklingen lasse, hüben wie drüben der Weser in einem Maaße durchschlagen, daß g es wohl noch einmal ein rechtes Stamm-, Heimat und Herzenslied des Friesenvolks werden kann. ‒ In diesen Tagen erscheint es und soll Dir in Wort und Weise zugehn.

Und nun leb wohl und mißdeute nicht meine eben so freundliche wie inständige Bitte, grüße herzlich die dortigen Deinen und bleibe treu mir wie Dir

Dein alter

H. Allmers

a gestr.: Freiburg; eingef.: Greifswald; b gestr.: geradezu; c gestr.: au; d gestr.: lieben fre; e gestr.: darüber; eingef.: dankbar; f gestr.: würdigen; g gestr.: da

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.01.1893
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8715
ID
8715