Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, München, 18. Februar 1889

München 18/2 89

morgens 9 Uhr.

Mein herzlieber Haeckel

Gerade ging ich mit dem Gedanken um heute oder morgen an Dich zu schreiben als ich soeben Deinen Briefe empfing, den ich sofort erwiedere, weil es mich drängt Dir bei der ernsten Kunde, daß nun auch Dir das treue Mutterherz zum letzten Male geschlagen hat, Dir in tiefinnerster Theilnahme die Freundeshand zu drücken. Freue Dich, daß Du das Glück ins

Mutterauge schauen zu können a ungleich länger als ich genießen durftest obwohl auch ich mein 34tes Jahr erreicht hatte alsb ich den letzten Liebesblick daraus empfing. ‒ ||

Daß es Dir und den lieben Deinen sonst gut geht und Du endlich aufathmest von der großen Arbeit freut mich herzlich. Auch mir geht es hier in meinem alten so liebgewonnenen Bier-Athen wie ichs nur wünschen kann so daß dieser Münchener Winter zu den herzerquickendsten und geistanregendsten gehört c, von allen 68 seiner Vorgänger. ‒ d

e Mein Winterleben begann mit dem Allerseelentage, zu welchem ich eigends f von meinem köstlichen Octoberausflug nach dem Gardasee, Verona und Venedig rasch wieder nach hier zurückkehrte. ‒ Und seitdem verfloß meine Zeit still und sehr regelmäßig in ruhig schönem Umgange mit Kunst und Künstlern, Poesie und Dichtern (Obenan Paul Heyse, Jul. Grosse und Wilh. Jensen.) und nur ein unvergeßlich schöner Weihnachtsausflug nach Oberstdorf im Algäu um einmal die Christnacht unter einfachen und einfältigen frommen Alpenbewohnern zu feiern, unterbrach || mein städtisches Winterleben. Nun aber neigt es sich bald seinem Ende zu. Etwa am 8‒10 März g denke ich aufzubrechen zur letzten Romfahrt, welche Reise ich diesmal als Führer und Beschützer der Tochter meines lieben ältesten Jugendfreundes Dr. Menke in Gotha und einer Freundin derselben mache. ‒

Und auch Du ziehst wieder ins gelobte Land, zum schönen blauen Mittelmeer? ‒ Welchen Weg nimmst Du dahin? ‒ Gewiß durchs schwarze Loch und also zuerst deshalb wohl geradeswegs auf Basel zu. ‒

Wie würdest Du mich beglücken könntest Du den Weg über München nehmen und einen Tag mir schenken! Kaum mag ich den Gedanken aufsteigen lassen, weil es fast zu schön ist. Aber zweimal bist Du nun schon durch München h gerutscht ohne daß ich auch nur ein Haar von Dir gesehn hätte. || Somit könntest Du Dir wohl dafür die kleine Buße auflegen und

mir die große Freude bereiten.

Ist es Dir möglich so künde mirs ja zeitig genug an damit Du aus dem Bahnwagen mir sogleich ohne erst den Boden zu berühren in die Arme springen kannst. ‒ Vielleicht werde ich Dir dann sofort eben von mir erschienene Dichtungen i zur Reiselectüre in die Hand drücken können, die Dich hoffentlich recht erfreuen sollen. ‒ Auf alle Fälle schreib mir noch

vorher. Mündlich dann einen ganzen Sack voll Tausenderlei.

Die herzlichsten Grüße Dir und Deinen Lieben von

Deinem treuen

Armin.

a gestr.: volle zehn Jahre; b irrtüml. doppelt: als; c gestr.: die ich; d gestr.: Auch habe ich in ihm; e gestr.: Er; f gestr.: an; g gestr.: bre; h gestr.: z. B.; i gestr.: in die Ha

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.02.1889
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 8700
ID
8700