Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 9. Juli 1886

Rechtenfleth

9.Juli 86

Mein herzlieber Häckel

Denke Dir: erst seit letzten Sonntag bin ich wieder in mein weltentlegenes Daheim eingerückt und seit den a Tagen von Jena, seit unsrer schönen morgendlichen Frühlingswanderung auf seinen Höhen die mir noch gar lebendig und farbig mit ihrem köstlich wechselnden b Licht- und Schattenspiel vor der Seele steht liegt jetzt ein Stück Leben hinter mir, ein Frühling so herrlich, so reich an c herzerquickenden, d geistanregenden und schönheit erfüllten Tagen daße ich sie den glücklichsten meiner Vergangenheit ruhig anreihen darf. Zuerst, von Palmsonntag an, drei sonnige Wochen in München ausgefüllt durch Kunst, Kirchenfeier und || f ruhig schönem Verkehr mit lieben herz- und geistvollen Menschen; dann eine Woche in der frühlingsprangenden Alpenwelt, eine andere an den Ufern des blauen Bodensees wo es namentlich in Bregenz unsäglich schön war; dann ein paar Wochen, die ich stets als Gast bei Freunden im lieben liederreichen Schwabenland durchschwelgte z. B. bei meinem gelehrten Reisefreunde Prof. Weidlich in einer jetzt zum Gymnasium verwandelt alten Benedictinerabtei zu Blaubeuren wohnend, das mit seinem felsumstarrten Thale, seinem wundersamen tiefen und azurnen Wasserbecken (der Blautopf) so wie seinen kirchlichen Kunstwerken das merkwürdigste Fleckchen deutscher Erde ist; dann bei meinen kunsthistorischen Landsmann Dr Holtzinger in Tübingen und einem Anderen in Stuttgart; ferner eine Wallfahrt zu den heiligen Stätten des Hohenstaufengeschlechts, seinem g Stammschloße in tiefster Waldeinsamkeit, seinem kahl || und isolirt ragenden Burgberge und seinen Gräbern im Kloster Lorch; endlich Pfingsten in Rothenburg ob der Tauber wohin mich namentlich der Ruf jenes historischen Festspiels (Der Meistertrunk) zog, das die Bürger zum Andenken der Tillyschen Belagerung und Rettung ihrer Stadt jährlich mit großem Aufwande darstellen. Es war äußerst fesselnd, zeitgetreu und mitunter wahrhaft ergreifend. Läuten doch dieselben Glocken dabei von den Thürmen, donnern doch dieselben Karthaunen von den Wällen, die Stadtwehr schwingt dieselben Hellebarden und h derselbe mächtge Humpen ist i vorhanden ausj dem vor 250 Jahren der alte Rathsherr Nusch jenen Riesentrunk that der die Stadt vor Plünderung bewahrte und fünfhundert Bürger, dazu Weiber und Kinder k in der getreusten alten Tracht sind thätig dabei. Leider kam nur der erste Theil des Festes m das Spiel n im Rathause zu Stande. Eben als am Nachmittage die Trompeten zum Ordnen des großen historischen Zuges und zum Aufschlagen des Lagers vor der Stadt bliesen machte die plötzlich || eintreffende Kunde vom jähen Ende König Ludwigs auch dem schönen Feste ein solches. Die alte Stadt selbst aber o ist so hochintressant alterthümlich und malerisch, daß man von Früh bis Spät aus dem Entzücken nicht heraus kam.

Und damit war das Hauptziel meiner Reise erreicht. Rasch gings dem Rheine zu und von Mainz (dessen römisch-germanisches Museum mich noch ein paar Stunden fesselte) den Rhein hinab das Niederwalddenkmal sah ich leider nur von unten und im Regen, Kölns Kirchenherrlichkeit dagegen genoß ich in herrlichstem Sonnenscheine. –

Und nun sitz ich wieder, wie ichs so gern pflege, mit meinem Schreiben tagtäglich draußen am alten Steintisch meines Gartens und laße meine Briefe und Karten nach allen Himmelsgegenden fliegen bis ich endlich den während meiner Reise hoch aufgehäuften Berg von Briefschulden abgetragen habe, was in nächster Woche denk ich der Fall sein wird. – Und dann solls mit Macht an mein Buch „Deutschlands Zeitstimmen“ (wie ichs vorläufig nenne) gehn. Stößt Dir einmal etwas Intressantes und Unbekanntes dafür auf, so denk ja an mich. Unterwegs habe ich bereits die schönste Beute gemacht. – Vor Allem aber Lebwohl, habe nochmals sammt Deiner lieben Gattin den herzlichsten Dank für Deine erquickende Gastfreundschaft und grüße aufs Innigste die Deinen

von Deinem treuen

H. Allmers.

a gestr.: von; b gestr.: Lichtzaubers; c gestr.: so; d gestr.: und; e gestr.: vor; eingef.: daß; f gestr.: köstlich; g gestr: Wiege; h gestr.: das; i gestr.: noch; j gestr.: und; eingef.: aus; k gestr.: sich dab; l gestr.: Weste; m gestr.: zur; n gestr.: selbst; o gestr.: wo

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
09.07.1886
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8692
ID
8692