Allmers, Hermann

Hermann Allmers an Ernst Haeckel, Rechtenfleth, 6. Mai 1880

Rechtenfleth

6. Mai 80.

Mein lieber Häckel

Nach alter lieb gewonnener Weise pflegen wir uns ja gegenseitig mitzutheilen was wir in der a Correspondenzpause erlebt, genoßen b getrieben und geschaffen haben. In meinem letzten Briefe erzählte ich Dir von meinem August und September: Ausflug an den Bodensee (zu Scheffel) in die Algäuer Alpen und nach c München zur internationalen Kunstausstellung und zum Colonna Congress – nun ist zu meiner Freude endlich der lange scheußliche Winter vorüber und auch Deine Osterferienzeit und mich verlangt sehr danach zu wissen wie Du und die Deinen Beides verlebt haben. ||

Für mich war der Winter der ödeste, einsamste einförmigste und leider auch unfruchtbarste von allen 59 die ich nun geschaut habe. Dazu plagte mich in den langen Nächten d mein altes Erbübel (mütterlicher Seits) eine e geist und körpererschlaffende Schlaflosigkeit. So ist denn äußerst Wenig geschaffen worden und noch weniger vollendet, denn Entwürfe u Pläne f schossen in den ruhelosen Nächten aus g meiner Seele wie Pilze. –

Dir aber verdanke ich einen Genuß den Du schwerlich ahnen wirst. Vor mehreren Jahren schenktest Du mir einmal zum Weihnachten Noirées Buch „Die Welt als Entwickelung d. Geistes“. Ich weiß selbst nicht wie das zugegangen ist, damals sprach mich das Werk nur sehr Wenig an und mein Dank dafür mag, wie ich jetzt fürchte, nicht eben der wärmste gewesen sein. In diesem Winter nun fiel wieder einmal mein Auge zufällig hinein, die Stelle packte mich – ich las weiter, h blätterte anderwärts darin – ward von Neuem gefesselt, las dann von Anfang bis zu Ende || und zuletzt hätte ich Dir und dem i Verfasser schier vor Entzücken um den Hals fallen mögen – solche Herzens- und Geisteslabung gewährte mir das herz- und geistvolle Buch. - Sage mir darum was ist und wo ist j Noirée?

Meine Sommer- und Herbstpläne sind noch sehr nebelhaft. Zunächst möchte ich auf 14 Tage nach Berlin wohin mich die Fischereiausstellung, die pergamenische Herrlichkeit und Otto Knille aufs Mächtigste locken. Später habek ich vor mit Freund Detlefsen der jetzt Gymnasialdirector in Glückstadt ist eine Streiferei durch Schleswig-Holstein namentlich nach Nordfriesland und dann nach der Ostküste zu unternehmen vor Allem nämlich im Intresse meiner längst vollendeten l Marschen- und Alpennovelle „Harro“ die ich nicht eher veröffentlichen möchte ehe ich mir nicht noch einmal genau den landschaftlichen Character einiger Schauplätze ihrer Begebenheiten angesehn habe. ||

Bei Syrakus habe ich Dir bereits meinen Harro als Embrio vorgeführt, somit wird Keiner sagen wenn derselbe das Licht der Welt erblickt, daß er nicht ein völlig ausgetragenes Kind ist. – Im Grunde ist er die Frucht jener Stunde. –

Nun noch Eins, darum ich Dich schon längst fragen wollte. – m In unseren hiesigen Gräben finde ich häufig an altem Holzwerk und an Wasserpflanzen z. B. an der Unterseite der Blätter von Hydrocharis morsus ranae n bis zu I Zoll lange festsitzende cylindrische glashelle o wurmförmige unbewegliche Körper ohne alle sichtbaren Organe ungefähr von der Dicke eines dünnenp Rohrhalms etwas fester als bloßer Schleim und beim Zerdrücken zerfließend. Was für ein Geschöpf kann das sein? –

Bitte schreib mir doch ja darüber und bist Du nicht sicher was ich meine so will ich Dir wohl einmal ein paar Exemplare schicken, doch mußt Du mir sagen wie ich sie bewahren kann. Ob q sie in bloßem Wasser die Reise werden machen können.

So lebe wohl sammt den Deinen mein herzlieber Junge, habe einen glückerfüllten Sommer und bleibe auf Deiner ruhmesstrahlenden Höhe ferner gut dem getreuen Freunde in der Niederung

Deinem

Hermann Allmers.

a gestr.: Courspause; b gestr.: und; c gestr.: und; d gestr: eine; e gestr.: entsetzliche Schla; f gestr.: machten; g gestr.: Pilze; h gestr.: las; i gestr.: Ver; j gestr.: Verf; k gestr.: mochte; eingef.: habe; l gestr.: Novel; m gestr.: An alten im; n gestr.: bis; o gestr.: und; p gestr.: kleinen; eingef.: dünnen; q gestr.: man

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.05.1880
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8678
ID
8678