Conrad Andreae an Ernst Haeckel, Rapallo, 27. Juli 1914
VILLA ANDREAE
RAPALLO
LIGURIA
27. Juli 1914
Hochverehrter Altmeister!
Als ich gerade in meinem Garten in Rapallo stand, der sich zu einem kleinen Riviera-Paradies ausgewachsen hat, und an meinen Cacteen herumtiftelte, überbrachte mir der Landbriefträger Ihre freundlichen Zeilen und Ihr Bild, die mir von der Frankfurter Bank nachgeschickt worden waren. Sie wissen nicht eine wie große Freude Sie mir damit bereitet haben! –
Ich berief meine 3 Kinder || in mein Studio und las ihnen die Danksagung an Ihre Freunde und Gesinnungsgenossen vor. Meine Aelteste hatte schon mit mir am 16. Februar in Frankfurt der Feier des 80ten Geburtstages unseres verehrten Altmeisters und Vorbilds beigewohnt. – Mein Jüngster will Naturforscher werden, wie mein leider zu früh verstorbener Bruder, der Paleontologe Prof. Achilles Andreae, den Sie ja gekannt haben. Dem zukünftigen Naturforscher wird der Tag eine Erinnerung fürs Leben bleiben! –
Als ich neulich auf meinem || Turm stand und über das sonnenumflutete Meer von Palmenwedeln hinaus auf die unendliche blaue See schaute, gedachte ich Ihrer in Dankbarkeit, denn meine Freude an der Natur verdanke ich zum großen Teil der Lektüre Ihrer Bücher, ebenso wie ich mir aus ihnen die gesunde monistische Weltanschauung aneignete, die mich zum freien Menschen machte. –
Leider kann ich jetzt nur noch wenig in Rapallo sein, seitdem ich dem Ruf an die Frankfurter Bank folgte, wenn jedoch meine Kinder in Deutschland auf guten || Bahnen sein werden, hoffe ich wenigstens den Winter wieder meine schöne Besitzung hier genießen zu können.
Ob Sie unser schönes Rapallo noch einmal aufsuchen werden, wo Sie Ihren 70sten Geburtstag feierten? –
Mit nochmaligem wärmsten Dank für die wirklich große Freude, die Sie mir mit Ihren freundlichen Zeilen und dem Bild bereitet haben, bin ich in
dankbarer Verehrung
Ihr sehr ergebener
C. Andreae.