Sophie von Ammon an Ernst Haeckel, Ajaccio, 10. Februar 1912
AJACCIO, LE 10.2.1912
Poste restante
Sehr verehrter Herr Professor Haeckel!
Excellenz!
Aus der Ferne muß ich auch in diesem Jahre Ihnen meine herzlichsten Grüße und Glückwünsche zu Ihrem Geburtstage senden! Von Herzen erhoffe ich, daß Sie den schönen Festtag im Kreise der Ihrigen soweit im besten Wohlergehen verleben werden und das neue Lebensjahr Ihnen nach all dem Schweren des letzten nur Frohes und Gutes bringen möge.
Aus dem so liebenswürdigen Briefe || Ihrer Frau Gemahlin durfte ich zu meiner Freude entnehmen, daß es Ihnen mit dem Beine nun doch besser geht und Sie mit Hilfe eines Stockes im Hause umherzugehen im Stande sind. Lassen Sie uns drum der Hoffnung Raum gebena, daß nach und nach auch das Gehen auf der Straße Ihnen leichter fallen möge.
Während im lieben Vaterlande Schnee und große Kälte herrscht, sind wir von viel Wind und besonders von tüchtigen Regenwettern heimgesucht. Corsika ist wahrlich ein Land, in dem man unter dem grauen und noch dazu mit Kannen gießenden Himmel ganz besonders leidet. An Comfort fehlt hier selbst bei bescheidenen Ansprüchen doch noch recht viel. Man merkt auch nicht einmal, daß die Menschen hier irgend wie einen Anlauf || machen mögten, weiter zu schreiten in der Kultur, der alte Zopf geht ruhig weiter und mit der allgemeinen Redensart: Que voulez vous nous Corses sont des pauores begnügen sie sich! Sie sitzen oder liegen auf den freien Plätzen umher, sitzen in den Caffées, politisiren, spielen Karten oder hören der Musik zu, dabei eine Cigarette nach der anderen rauchend und gleich den Italienern das Ausspucken trotz allen Verbotes weitertreibend. Aber von einer wirklich angenehmen berührenden Höflichkeit sind die Menschen hier ohne aufdringlich zu sein und von dieser angenehmen Tugend könnten [sic] in der Heimath gar Mancher lernen.
Nach und nachb kommen nun auch einige Fremde mehr zugereist, im Ganzen war der Besuch bis dato recht schwach; auch Maler fanden sich ein, doch behindert die so ungünstige Witterung sie bis jetzt sehr in der Ausübung ihrer Thätigkeit. || Im Laufe der Woche mögte ich noch eine tour nach Bonifacio unternehmen. Die Verbindung mit Dampfer ist nicht ganz praktisch eingerichtet, auch nach dieser Seite hin. Freycinet hat alles in Händen und da die Compagnie keinen Koncurrenten hat, so lassen auch diese Dampfer etc. Manches zu wünschen übrig.
Ihrer lieben Gattin bitte ich besonders herzlichen Dankesgruß von mir sagen zu wollen, mich auch Ihren Leipziger Kindern freundlichst empfehlen zu wollen, welche doch sicherlich für diese Tage in Jena sein werden.
Von Barbicaia erlaubte ich mir Ihnen noch einen kleinen Gruß zu senden. Es sind jedenfalls die besten Orangen, welche man hier erhält, würde es mich freuen so sie auch Ihnen munden würden.
Und nun nochmals alles Liebe und Gute für Sie! In alter Verehrung und Anhänglichkeit Ihre getreue
S. v. Ammon.
a eingef.: geben; b eingef.: und nach