Amburger, Nicolaus Alexander

Nicolaus Amburger an Ernst Haeckel, St. Petersburg, 28. November 1893

Den 16/28 November, 1893.

Hochgeehrter Herr Professor!

Die Wahrheitsforschung, die mit der wahren Naturforschung identisch ist, gründet sich auf Thatsachen. – Also:

1. Als Empfehlung meiner Persönlichkeit diene die Thatsache: Dass ich von den 4 Eigenschaften eines wahren Naturforschers, die Sie in Ihrer letzten Schrift Der Monismus, als Band zwischen Religion und Wissenschaft, S. 27.a angeben, die 3 letzten besitze; was die erste anbetrifft, so möchten möglicherweise bei mir einige Zufälligkeiten den (übrigens relativen) Begriff „genügend“ in „ungenügend“ verwandeln, was ich, trotz Unglauben daran, aufrichtigerweise gestehen muss. –

2. Als Begründung und teilweise Entschuldigung dieses Schreibens diene die Thatsache: 1) dass ich weder in mir noch in den hiesigen Naturforscherkreisen das erlangen kann, worum ich Sie bitte; || und 2) dass mir weder die schriftstellerischen, noch die materiellen Mittel zu Gebote stehen, Sie durch eine Streitschrift oder desgleichen zu einer Antwort zu bewegen.

3. Als Motivierung dieses Briefes diene die Thatsache, dass ich folgendes verstehen möchte: Die Verbindung der unendlich-ewigen Eigenschaft des Weltäthers mit dem „Besitz“ eines „Vermögens“ (Schwingungsvermögen b), einer Functionb, einer Structurb

Wenn Sie in Ihrer Grösse als Naturforscher diese 3 Daten für Ihrerseits beachtenswert halten sollten, so bitte ich Sie, verehrter Herr Professor, inständig, mir, wenn auch nur eine vage Erklärung dessen zuschicken zu wollen, was ich in Punct 3. angegeben. Ich halte es für eine Selbsterniedrigung meinerseits, wenn ich zugebe, dass ich möglicherweise noch nicht fähig bin, solches zu verstehen. In diesem Falle wage ich, Sie noch zu bitten, mir kurz den Weg angeben zu wollen, || auf dem ich zum Begreifen dessen gelange, worüber ich Sie befrage, wie überhaupt des Verhältnisses zwischen Weltaether und Weltmasse = Kraft und Stoff = Gott und Welt, ich meine ihr Bedingtsein durch einander. –

Indem ich Sie aufrichtig um Entschuldigung bitte, ob der, vielleicht dummerweise, an Sie gerichteten Zumutung

verbleibe ich in tiefster Devotion

Nicolaus Amberger

St. Petersburg, Moika 85.

P.S. 1) Ein Ausbleiben jeglicher Antwort wird mir in jedem Fall, sehr deutlich sagen, wie Sie über meine Frage denken. –

Amberger

2) Vielleicht sind Sie auch so freundlich, mir zu sagen, ob Sie eine neue Auflage der Generellen Morphologie vorbereiten. Ich kann dieselbe mit keinen Mitteln bekommen, da ja die alte Auflage vergriffen ist und hier sogar antiquarisch nicht zu haben ist. –

Amberger

a Text weiter am unteren Rand von S. 1: Der Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft, S. 27.; b Text weiter am unteren Rand von S. 2: Der Monismus als Band zwischen Religion und Wiss. – S. 42.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
28.11.1893
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 8448
ID
8448