Anton de Bary an Ernst Haeckel, Straßburg, 27. Dezember 1880
Hochverehrter Herr College,
Die Ihrem Briefe zu Grunde liegende Thatsache von Strasburgers Berufung nach Bonn war mir neu, wenn auch nicht ganz unerwartet, Ihre Anfrage trifft mich daher wenn Sie wollen nicht ganz vorbereitet für die von Ihnen gewünschte schnelle Beantwortung. Doch liegen die Personalien so einfach, daß ich mich, mit Unterstützung des Universitätskalenders immerhin zu sofortiger Antwort entschließen kann, ohne natürlich auf absolute Vollständigkeit oder gar Unfehlbarkeit Anspruch zu machen.
Ich halte mich dabei an Ihr Programm, indem ich mich darauf beschränke junge frische Kräfte namhaft zu machen, von denen tüchtige Leistungen in Wissenschaft und Lehrthätigkeit noch zu erwarten sind, die sich aber auch bereits soweit bekannt gemacht und bewährt haben, daß diese Erwartung eine sichere Grundlage hat. Von diesen Prämissen ausgehend, kann ich Ihnen 9 jüngere Docenten nennen an die man denken könnte, die freilich || von sehr verschiedener Qualität sind. Sortire ich sie nach Rang ihrer jetzigen Stellung so kommt 1) Vöchting, derzeit Ordinarius in Basel, ein frischer, noch recht junger, durch anatomische und physiologische Arbeiten sehr gut angeschriebener Mann; früher Docent in Bonn; als Lehrer mir nicht bekannt.
2) Friedrich Schmitz, früher hier Assistent, dann Docent in Halle, jetzt Extraordinarius in Bonn. Mir persönlich nahe stehend und persönlich empfehlenswerth; wissenschaftlich strebsam, aber mit den früheren Arbeiten morphologischen Inhalts wenig glücklich; neuerdings mit großem Eifer in Zellenlehre thätig, sich aber nur in „vorläufigen Mittheilungen“ und zum Theil recht vorläufig äußernd, wie Ihnen wohl bekannt sein wird. Als Lehrer kenne ich ihn nicht, möchte ihm aber nicht sonderlich viel zutrauen.
3) Albert Bernhard Frank Extraordinariusa in Leipzig, jedenfalls sehr tüchtig und in früheren Jahren ungerechter Weise übergangen; jetzt aber wohl kaum mehr zu frischen Kräften zu rechnen, da er seit 67 Docent ist. Ueber seine persönlichen- und Lehrqualitäten kann ich nicht urtheilen, würde jedoch eventuell sehr rathen, in Leipzig nach demselben genaue Erkundigungen einzuziehen.
4) Ernst Stahl, früher Docent in Würzburg, jetzt Extraordinarius hier; von unserer jüngeren Generation || seiner Arbeiten (anatomisch, physiologisch etc.) noch vielleicht der vielseitigste und originellste, als Lehrer sehr beliebt und auch sonst in jeder Hinsicht vortrefflich. Er ist mir seit seiner Studentenzeit genau bekannt.
5) Carl Linsser, Docent in Leipzig, Ihnen von Jena her wo er studirte wohl erinnerlich, fleißiger Compilator nützlicher Bücher, vielleicht fleißiger Lehrer, aber jeden eigenen Gedankens baar, obgleich er seinem Alter nach Zeit gehabt hätte solchen zu äußern.
6) Eugen Askenasy, Docent in Heidelberg seit einer Reihe von Jahren, wenig productiv, aber hat recht nette anatomische und physiologische Arbeiten aufzuweisen, soviel ich weiß durch Kränklichkeit oft in seiner Thätigkeit unterbrochen; persönlich sehr beliebt.
7) Ludwig Koch, ebenfalls Docent in Heidelberg, litterarisch das Gegentheil der Vorigen; recht fleißig, läßt brauchbare aber doch immerhin Duodez-Arbeiten in Folio drucken und muß wohl noch manches lernen. Als Persönlichkeit ein wenig, als Lehrer mir gar nicht bekannt.
8) Paul Falkenberg, jetzt Docent in Göttingen, früher an der Zool. Station in Neapel botanischer Assistent. Seine gediegenen Arbeiten über Meeresalgen, auch eine größere Phanerogamen-Anatomie-Arbeit sprechen sehr zu seinen Gunsten. Mehr weiß ich von ihm aus eigener Erfahrung nicht, doch hörte ich von Anderen nur Gutes.
9) Carl Göbel, derzeit Docent in Würzburg. Durch vielseitige höchst ergiebige, vielleicht etwas zu rasch || publicirte, bei alledem aber stets gute Arbeiten jedenfalls als einer der Fähigsten unter den in Frage kommenden legitimirt. Als Docent noch jung aber von gutem Rufe. Persönlich vortrefflich, soviel ich nach dem Verkehr mit ihm während seiner hiesigen Studienzeit und dem übereinstimmenden Urtheil anderer auszusagen vermag.
Aus dem Gesagten werden Sie entnehmen, daß ich nach meiner Taxatation Stahl, Vöchting (wenn er zu haben ist) ex aequo, dann Göbel und Falkenberg zunächst vorschlagen würde. Stahl, Vöchting und Göbel würden auch jedenfalls dem Garten gut vorstehen, was ich von Falkenberg nicht weiß aber auch nicht bezweifle. Alle die Genannten würden und müßten auch ohne Zweifel die Gartendirection beanspruchen.
Das ist was ich so objectiv als mir möglich ist auf Ihre Frage zu sagen habe. Daß Ich den Stahl hier sehr ungern verlieren, dem Göbel und auch dem Linsson aus äußeren Gründen eine Stelle wünschen würde, gehört nicht zur Sache. Benutzen können Sie meine Anregungen nach Gutdünken. Und wenn ich Ihnen mit fernerer Auskunft noch dienen kann so thue ich es gerne. Es freut mich sehr, daß Sie der alten Studenten höflich gedacht haben.
Mit hochachtungsvollen Grüßen
Ihr ergebener
A. de Bary.
Straßburg. 27 December. 80.
a eingef.: Extraordinarius;