Karl Bauer an Ernst Haeckel, München, 6. Dezember 1913
München. Ungererstr. 8. III.
6.XII.13
Hochverehrter, lieber Herr Geheimrat!
Verbindlichen Dank für Ihren inhaltreichen, freundlichen Brief & das hübsch ausgestattete Büchlein! An der Kupferzeichnung ist wohl nichts mehr zu ändern, aber ich wollte es so haben, wie der Ausdruck nach Ihren Worten empfunden wird. Warum immer dasselbe friedlich freundliche Aussehen festhalten, wie auf Ihren vielen, andern Bildnissen!
In ernsten Momenten des Nachdenkens & geistigen Schaffens || zeigt ein solch Gesicht mehr vom innerlichen Leben als in der geselligen oder einer sonst ähnlichen Stimmung, in der es in Beziehung auf die Umwelt sich darbietet.
Der Bart ist absichtlich nicht eingehender behandelt, um das Interesse auf die wichtigeren Teile des Kopfes zu lenken.
Überhaupt finde ich, dass heutzutage das künstlerische Bildnis das Temperament des Verfertigers erraten lassen & in der gleichmäsigen Ausführung nicht mit der Photographie concurriren soll, da letztere || hierin jetzt das bestmögliche erreicht hat. Bei Holbein & den sonstigen altdeutschen & holländischen Meistern hatte diese Ausführung & das Versenken in jede kleine Nebensächlichkeit einen ganz andern, intimeren Sinn.
Der Asymmetrie braucht man bei Ihrem Kopf so wenig aus dem Wege zu gehen, wie bei dem Goethes. Solche Gesichter koennen dadurch weder an Sympatie [!] noch an Bedeutung verlieren & an Lebendigkeit nur gewinnen. Zu einem so menschlich fühlenden, verehrungs-||würdigen Mann darf man wohl so offen reden, ohne deshalb für einen Schmeichler angesehen zu werden. ‒ Ausserordentlich freut mich Ihre Bewertung meiner Studien, die ich in den vergangenen Jahren mehrmals von Ihnen anfertigen durfte. Ich möchte auch in Zukunft noch Versuche damit machen. Walther, mit dem ich gestern länger zusammen war, sieht vorzüglich aus & drückte wiederholt seine Freude an der Auffassung der Radirung, die ich ihm übergab, aus.
Mit herzlich ergebenen Grüssen an Sie & Ihre hochverehrte Frau Gemahlin
Ihr getreuer
Karl Bauer.
Auch meine Frau lässt herzlich grüssen.