Friedrich Baumann an Ernst Haeckel, Chicago, 18. Januar 1912

F. Baumann 2744 Pinegrove Ave

Chicago Jany 18. 1912

Sehr geehrter Herr Professor

zu Jena

Wohl war es mir frühzeitig bekannt daß Sie von einem schweren Unfalle betroffen waren, aber ich hielt mich für viel zu klein, um an der Ehre der allgemein Ihnen erwiesenen Condolenz theilnehmen zu dürfen. Letztlich jedoch bin ich in dieser Beziehung gewachsen – durch Ihr Werk „Malayische Reisebriefe“. Es haben diese mich erfüllt mit der Herrlichkeit der Tropen-Natur von Insulinde, und ich fühle mich dadurch so gehoben, daß ich bitten muß mir so spät noch die Ehre des Condolenz-Erstattens zu gewähren. Ich kenne die Größe eines solchen Mißgeschicks, nicht jedoch aus eigener Erfahrung, sondern durch die einer mir befreundeten Dame Ihren Alters. Sie wurde falsch behandelt und muß sich in ihr Schicksal finden. Ihnen aber stehen die bewährtesten Chirurgen zur Seite, und bei Ihrer stets bewährten Gesundheits- und Kraftfülle sollte doch wohl Ihre Herstellung völlig gelingen, und hoffentlich ist sie es bereits. Der weitere Wunsch ist – und jedenfalls ein durchaus allgemeiner – daß Sie bis mindestens zu Ihrem hundertsten Geburtstage eines munteren Daseins und der edlen Früchte Ihres reichen Schaffens sich erfreuen. Erst dann sollte es den Quadrillionen dera Atomen, die Ihren Leib sammt Fülle der Gedanken bilden, gestattet sein, die letzte Reise anzutreten in die Allgemeinheit der Atome, die den Erdkreis erfüllen. Seien Sie indeß, bitte inständigst, höchst vorsichtig inbetreff Ihrer kostbaren Tage, denn nie und nimmer finden sich wie Sie wissenb diese einmal getrennten Atome wieder zu ihrem Gebilde zusammen. ||

Weiter noch bin ich so frei eine Monatsschrift in einer Rolle zu übersenden. Sie ist sehr weit verbreitet, zeitgemäß, fortschrittlich u.ehrlich. Wir sind hier inmitten einer Art friedlicher Revolution. Kritik überall. Der ursprüngliche Individualismus im Vergehen. Neuer Zustand im Werden. Kuddelmuddel vielfach. Roosevelt, dem Sie wahrscheinlich, vielleicht gewiß, begegnet sind als er von Afrika zurückkam, ist vor Allen der oberste Leiter und, wie es den Anschein hat, auch der nächste Präsident. Ich bewundere und verehre ihn. Er hat den Anhang des Volks. Einer seiner Freunde ist Beveridge, dessen Artikel auf einem beigefügten Blatte.

Ich muß gestehen daß ich mir vorzustellen wage Sie könnten geneigt sein mit den Zuständen in diesem so besonderen Lande ein wenig näher bekannt zu werden. Wäre das der Fall, so würde esc mir Ehre und Genugtuung sein Ihnen, so weit meine Kräfte reichen, dienen zu können. Zwar habe ich schon 86 Jahre hinter mir, doch ich bin rüstig und lebensfroh und glaube den damit verbundenen kleinen Pflichten freudiglich vorstehen zu können. In der That es würde diese Freude ein Beitrag sein zu längerem Leben das ich liebe, und das ohne Arbeit keinen Wert hat. Aber ich muß bitten mit der Sprache vorlieb zu nehmen die sich mir eingelebt hat.

Ihr ergebener Diener

Friedrich Baumann

a mit Einfügungszeichen eingef.: Quadrillionen der; b mit Einfügungszeichen eingef.: wie Sie wissen; c mit Einfügungszeichen eingef.: es

Brief Metadaten

ID
7968
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Illinois
Datierung
18.01.1912
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
2
Umfang Blätter
2
Format
18,5 x 26,3 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7968
Zitiervorlage
Baumann, Friedrich an Haeckel, Ernst; Chicago; 18.01.1912; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_7968