Heinrich Baur an Ernst Haeckel, Birmensdorf, 24. Mai 1909
Birmensdorf, den 24.V.09.
Hochgeehrter Herr Professor!
Es drängt mich Ihnen meine aufrichtige Freude über die glückliche Abwendung des Ihnen zugedachten Unheils auszudrücken wie auch den Wunsch, dass Sie in voller Kraft sich noch viele Jahre des Lebens freuen und den Triumph Ihrer theuersten Ideen erleben mögen. Aus welchen Kreisen diese Wuthausbrüche stumpfsinniger Fanatiker stammen, darüber konnte man wohl keinen Augenblick im Zweifel sein und mag es Sie mit berechtigtem Stolz erfüllen, sich dem Hass der Finsterlinge in diesem Grade zugezogen zu haben. Da darf man schon sagen: Viel Feind viel Ehr! Das Lesen Ihrer „Welträthsel“ war für mich von hohem Interesse, fand ich doch darin Manches, was ich schon in der Jugend mehr oder weniger klar fühlte und glaubte, bestätigt, logisch begründet und erweitert. Ich meine z. B. das Unlogische und Ungerechte || des allgemein verbreiteten Glaubens, dass nur der Mensch eine Seele habe, alle anderen Geschöpfe aber nicht. Der grosse Widerspruch zwischen der Theorie eines gerechten, alle Geschöpfe liebenden Gottes mit den Thatsachen, die uns die Welt-, die Kirchen- und Culturgeschichte, das tägliche Leben und der fortwährende Existenzkampf aller Lebewesen untereinander lehren. – Das vor der Wissenschaft und logischem Denken Unhaltbare aller kirchlichen Satzungen und Glaubenslehren, sowie das Unhaltbare der religiösen Anschauung von einem besseren Jenseits.
Ob nun dieser „Unglaube“ für mich ein Gewinn sei oder nicht, wollen wir nicht näher untersuchen, ja ich gebe gerne zu, dass der Kirchenglaube Manchem leichter über Schicksalsschläge und schwierige Lebenslagen hinweghilft, aber der Glauben hängt ja doch nicht von unserem Willen ab. Ferner konnte || ich mir nie recht einen gütigen und gerechten Gott vorstellen unter dem Gott der Bibel, der die Sünden der Vätera rächet an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied.
Von Schicksalsschlägen bin ich bisher mehr oder weniger verschont geblieben und hat mich die Freude an der Natur, der Kunst und der Arbeit das Leben auch ohne Kirchenglauben lebenswerth erscheinen lassen. Jedenfalls ist aufrichtiger, uneigennütziger Monismus soundso vielmal ehrenwerther, als der verfolgungssüchtige, selbstgerechte Kirchenglaube der sogenannten Christen und kommt im Grunde dem wahren Christenthum auch näher, eben-schon durch die Nichtverfolgung Andersgläubiger. Auch ich strebe darnach, soweit es in meinen Kräften liegt, mir noch den Hass der Pfarrer zu verdienen und zwar der rothen wie der schwarzen des neuen wie des alten Culturfeindes || und werde ich mir eine Ehre daraus machen Ihnen gelegentlich einen Beweis dafür zu leisten.
Genehmigen Sie die Versicherung meiner besonderen Hochachtung
Ihr ergebener H. Baur
Kunstmaler
Birmensdorf b/Zürich
a eingef.: der Väter