Jacques von Bedriaga an Ernst Haeckel, Nizza, 28. März 1894
Nizza. Boulevard de l’Impératrice 55
28.3.94.
Theuerster Freund und unvergesslicher Meister und Lehrer!
Unsäglich haben mich Ihre lieben Zeilen erfreut und ich spreche Ihnen meinen tiefempfundenen Dank aus. Dass es nicht früher geschehen ist, liegt nicht an mir, denn ich habe recht schwere Zeiten erleben müssen und genau um die Zeit als das schöne Fest in Jena stattfand, stand ich rathlos an einem Kreuzweg: ein stolperiger Weg führte nach Venezuela, der andere, nicht minder raue nach Russland und wie gewöhnlich war dahinter die Nemesis, die zu meinem Schatten geworden ist. Angenehmes wie Unangenehmes || im Leben gesellen sich gern und so habe ich im Laufe des Jahres meinen Vater verloren und meine Mutter insofern eingebüsst als sie unzurechnungsfähig geworden ist. Das bedeutende Vermögen meiner Eltern hat mein jungerer Bruder in seine eigene Tasche untergebracht und zuguterletzt habe ich den grössten Theil meiner eigenen Habschaft in Mexico durch die Silberentwerthung verloren. In diesen Tagen ist es mir gelungen den Rest meiner Nickel nach Venezuela zu leiten und ich lebe in der Hoffnung, dass mir von dorten die erwünschte Rettung kommen wird. Gestern habe ich die Kontrakte mit einer Eisenbahngesellschaft unterzeichnet, einen treuen Freund als Vertreter dorthin gesandt und heute schreibe ich Ihnen meinen ersten Brief seit langer Zeit, um Ihnen zu sagen, dass ich mit Leib und Seele an der Feier theilgenommen habe. In aller Stille haben wir Asti spumante auf Ihr Wohl getrunken und den ganzen Tag über waren meine Gedanken mit Ihnen im lieben Jena. ||
Es wird doch wohl damit enden, dass ich nach dorten ziehe, denn nur in Jena liegt man abseits von all dem bösen Weltgerassel. Es muss gar zu heimisch und gemüthlich in der Villa Medusa sein und, oh wie gern, möchte ich Sie daselbst aufsuchen. Sie haben alle Gründe mit dem Herbst Ihres Lebens befriedigt zu sein und von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen viel Gutes und ein langes, langes Leben. Vielen Dank für den Zeitungsbericht, Monismus und das interessante Menu. Welch’ ein Luxus! Amphioxus in Essig! Der Acephale wird sich wohl eine derartige Auszeichung nicht erwartet haben!
Wollte Ihnen schon letzten Herbst schreiben und zwar nachdem ich das Gezänk Weismann – Spencer in der Contemporary Review durchgelesen habe. Die Streitsüchtigen tappten derart im Dunklen umher, dass es förmlich noththat ihnen heimzuleuchten und da dachte ich mir, dass niemand besser dazwischen treten könnte als Sie. Weismann macht sich viel zu || breit und will der Lorbeeren die Menge („besser spät als niemals“) und bei Spencer vermisst man leider heutzutage die Lebensfrische; auch a kann der Philosoph das Material, das ihm vom Zoologen und Gelegenheitsphilosophen entgegengebracht wird, nicht recht aufwiegen. Und als Spencer einem meiner Freunde sagte: „was würde denn aus meinen Werken werden wenn Weismann Recht hat?“, dachte ich mir, dass er mit der Panmixia nicht fertig wird. Eine schöne Aufgabe wär’s wenn Sie, theuerer Herr Professor, diesen Knoten lösen würden.
Auf fröhliches Wiedersehen. Frau und ich senden Ihnen unsere besten und herzlichsten Grüsse und bitten Sie unsere Grüsse Ihrer Frau Gemahlin zu übermitteln.
Ihr ewig treuer Schüler
Dr. J. v. Bedriaga.
a gestr.: d