Beckmann, Otto

Otto Beckmann an Ernst Haeckel, Göttingen, 8. Oktober 1858

Göttingen, Speckstrasse 405

d. 8. October 1858.

Mein theurer Freund!

Dein lieber liebenswürdiger Brief, den ich heute Morgen durch Hofrath Baum erhielt, hat mich an eine alte Schuld gemahnt, die durch der Zeiten Ungunst sich verlängert hat; ich werde suchen, sie in etwas zu erleichtern, bevor mein neuer Beruf mir die nöthige Musse rauben wird. Du hattest mich noch in den letzten Tagen meines Aufenthaltes in Würzburg so dringend und herzlich eingeladen, dass ich wenigstens durch ein Lebenszeichen hätte mein Bedauern über die Unmöglichkeit des Kommens ausdrücken sollen, aber Du weißt auch, wie vielerlei man im Kopfe hat, wenn man einen Ort verläßt, wo man lange lebte und Vieles erlebte. Zugleich bemühte sich der neugeborene Vater Lachmann mich nach Bonn zu locken und wenn es auf meine Gemüthsverfassung allein angekommen wäre, so wäre ich zweifelsohne zu Euch beiden gereist. Aber Du weißt aus eigener Erfahrung, dass meine Schätze nie gross gewesen sind und dass sie es in Würzburg nicht geworden sind, brauche ich nicht hinzufügen, vielmehr bedurfte es schon grosser Anstrengungen, um mich aus den dortigen Verhältnissen zu lösen und den Umzug zu bewerkstelligen, so dass mir nicht viel übrigblieb, um in die Heimath zu reisen. Ausserdem wurde mir gerathen, mich hier vorher etwas umzusehen und mir eine Wohnung zu nehmen. So reiste ich mitten zwischen Berlin || und Bonn durch, machte hier einige Besuche bei den wichtigsten Collegen und fand eine erträgliche, wenn auch entlegene Wohnung – und eilte zu meinen Eltern in mein stilles Heimathsdorf. Die lang entbehrte Freude, wieder in meiner Familie zu leben, wurde mir nun in vollstem Masse, ich war einmal wieder Kind mitten unter den theuren Geschwistern und unter dem lieblichsten Himmel, den dieser Herbst uns schenkte, in einer Gegend, die vielleicht Deiner Heringsdorfer nicht so unähnlich ist, wenn sie auch nicht so spezifische Reize bot. Dann eilte ich nach Rostock, besuchte da alte Freunde, liebe gute Tanten, wurde als neugebackener College von den Professoren begrüßt und perforce amüsirt, bis ich schliesslich an einem 3. Orte wieder bei sehr lieben Verwandten auf eine Woche mein Hauptquartier aufschlug, noch einmal recht in aller Gemüthlichkeit die Zeit todtschlug, um am letzten Sonntag die Lüneburger Heide mit Extrapost zu durchwühlen und hier mitten in der Nacht halbtodt ins Bett zu fallen. Nun ging es an’s Visitenmachen und Kartenabgeben, gestern wurde ich beeidigt, morgen werde ich in mein Amt eingeführt und übermorgen vielleicht zum Thee geladen – und schaudre – in dieser Weise kann es noch 4 Wochen so fortgehen, denn gut 100 Visiten stehen mir noch bevor. Fast möchte ich Dir rathen, nicht Professor zu werden, wenn es anders ginge. Uebrigens bin ich überall sehr freundlich aufgenommen und kann am Ende in geselliger Beziehung nicht || klagen, dagegen fehlt es in wissenschaftlicher Hinsicht ganz an Einigungspunkten und vor Allem werde ich wol ganz allein stehen, da ich natürlich mit den verschiedenen Herrn Hofräthen usw. doch nur in entferntere Berührung komme und unter den jüngeren Leuten kaum einer ist, der in Bildungsrichtung usw. mit mir harmonirt. Das gilt zunächst für unsere Fakultät und ist eine Anschauung, die ich bis jetzt gewonnen habe, die sich aber ändern kann. Das ist nun wol reichlich von mir, wenigstens für den Augenblick. Dass Du Dein liebes Geheimniss der Welt offenbart hast und als beglückter praktischer Arzt allen Freunden und Bekannten erscheinen wirst, kann mich nur freuen, da ich auch Andern etwas von unserer Freude gönne; ich kann mir freilich nicht anmassen, den ganzen Umfang Deines Glückes zu verstehen, da ich dazu wol eigne Erfahrung bedürfte, aber so weit ich es kenne, soweit brauche ich wol kaum zu versichern, dass mich die schönste Freude beseelt über Euer Glück und dass die wärmste Theilnahme meinerseits nie fehlen wird. Wenn ich dem folgen wollte, was mir meine wirklichen Verwandten in Scherz und Ernst jetzt vielfach vorgeredet, so hätte ich wol nichts Eiligeres zu thun als Deinem Beispiele folgend, mir eine Aussicht in die reizvollsten Gegenden menschlichen Daseins, wie man wol nicht ganz mit Unrecht sagen kann, zu eröffnen, aber Alles hat seine 2 Seiten und gut Ding will Weile haben. Also zu Neujahr nach Italien, wer möchte Dich nicht beneiden? Vielleicht Du selbst nicht; aber freue Dich der freien Zeit, wo Du Dir selbst gehörst und nicht umgeben von der Kritik Deiner || Collegen, Schüler u.s.w. in Deiner Selbstständigkeit lebhaft beschnitten wirst. Die Jenaer Geschichte hätte ich gerne mitgemacht, auch die eben verflossene Naturförsterei in Carlsruhe, aber es gibt menschlichen Könnens Grenzen. Aus der Wissenschaft bin ich ziemlich gründlich heraus und muss erst allmälig wieder mich hineinarbeiten, um dann auch mit ganzer Seele dabei zu sein; ich freue mich unendlich darauf, aber ich fürchte, ich werde für’s Erste noch nicht recht dazu kommen, da es viel Allotria gibt. Von unseren Freunden weiss ich auch nichts als dass Blödan sich in Nordhausen niedergelassen hat, also hier in meiner Nähe und wie er sich scherzhaft ausdrückt, angefangen hat, die Gegend unsicher zu machen. Bezold ist also immer noch in Berlin? grüsse ihn bestens, wenn Du ihn siehst, wie auch etwaige andere Bekannte. Empfiehl mich ergebenst Deiner verehrten Braut so wie Deinen werthen Eltern und sammle feurige Kohlen auf mein Haupt, indem Du bald einmal meine Einsamkeit durch einen Brief erheiterst.

Dein Otto Beckmann

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.10.1858
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7829
ID
7829