Beckmann, Otto

Otto Beckmann an Ernst Haeckel, Würzburg, 2. März 1857

Würzburg d. 2. März 57.

II. 55.

Mein lieber Häckel!

In Betrachtung der 2 liebenswürdigen Briefe, die mir Deine freundliche Gesinnung zugewandt, könnte ich fast zu einer Art Schamgefühl gelangen, wenn auch hier nicht durch Gewohnheit mein Gemüthe sehr verhärtet wäre. Jedenfalls wirst Du es anerkennen müssen, dass ich nicht einmal warte, bis ich zu anständigem Briefpapier wiedergelangt bin, was in heutiger Nacht theils wegen der Zeit theils wegen gebrechlichen Zustands meiner alten Hauspostille nicht mehr zu effectuiren sein dürfte. Mit der ganzen Kaltblütigkeit, die ich mir in verschiedenen strategischen Operationen gewonnen, ist es mir möglich geworden, selbst auf die wimmernden Lamentos, die Dein krebsumflortes Dasein zu Tage fördert, nicht sogleich zu reagiren, denn bei meiner sonstigen Beschäftigung war ich ausserdem gezwungen, einige Bälle zu frequentiren und diese absorbiren wie Du weißt, wenigstens Zeit, bei andern Leuten auch Stiefelsohlen und Herzen, wie ich wiederholt beobachten konnte. Nun aber er die Zeit der strengen Bewegungslosigkeit die Zähne frommer Katholiken zu stumpfer Ruhe verdammt, ist auch mein Sinn weicher geworden und trotz unverwüstlicher Katarrhe finde ich mich ein zur heitern Zwiesprach. Dass es Dir in Berlin nicht grade gefällt, hat für mich weniger Unerwartetes als für Dich vielleicht, der Du die Geliebte mit allen Reizen üppiger Jugend und Schönheit ausgestattet Dir dachtest, ausserdem auch noch im Allgemeinen in den Dingen oft mehr suchst als drin ist. Ich will diese Eigenthümlichkeit Deines Wesens, die Du selbst hinreichend kennst, nicht zum Gegenstand des Gespräches machen, freue mich indess über Deinen Entschluss, nach Wien zu gehen, etwa um Praxis zu treiben? – oder? – In diesen Tagen wird nun wol der Doktorhut auf den edlen Schädel gestülpt und schwelgend in der neuen Würde, blühen wenigstens tausend neue Himmel auf; meinen Glückwunsch füge ich sogleich bei, damit er zur rechten Zeit komme. Auf Deine Krebsstudien bin ich recht neugierig und werde mich trotz Latein bemühen, den || manchfachen Entdeckungen zu lauschen, die Dein emsiges Auge zu Tage gefördert hat. Du fragst mich nach dieser grünen Drüse und ich bedaure nichts darüber mittheilen zu können als dass es mir ein Schlauch zu sein schien, der aufgerollt ist, was übrigens schon länger bekannt und dass ich keine U darin gefunden. Dagegen hat aber Will oder wer sonst Guanin darin (gefunden) vermutheta (vgl. Lehmann p. 173b). In dem neuen und wie es scheint, sehr schönen Buch Leydigs findest Du vielleicht mehr; wie ich sehe, hat er manche Angaben über den Flusskrebs. Dass dieser verehrte Mann endlich einen Ruf in recht ehrenvoller und ihm wie es scheint, recht zusagender Weise nach Tübingen erhalten, und angenommen hat, weißt Du schon. Sein Buch wird Kölliker grade kein angenehmes Ereigniss sein, es lautet gar viel ganz anders und zwar nach meinen Anschauungen gewiss richtiger und ausserdem hat Leydig sich bemüht, an gar vielen Orten zu schweigen, wo Kölliker gewiss gewünscht hätte, genannt zu werden. Dass Du garnicht zu Virchow kommst, ist mir eigentlich recht wunderbar, bei dem kann man immer lernen und wie leicht war es für Dich, c ihm wieder näher zu kommen! Freilich ist das meine individuelle Anschauung und ich sage damit nicht, dass die Zootomie nicht berechtigt wäre. Du scheinst Dich überhaupt mehr abzukapseln als gut sein dürfte; es ist ganz etwas anderes wenn man muss, wie ich, aber wo weder Zeit noch andre Umstände dazu nöthigen, scheint es doch immer ein Raub an sich selbst, wenigstens an seinem Körper. Freilich weiss ich nicht, ob es anders sich hätte einrichten lassen und gebe daher meine Anschauung, wie Du auch weißt, unter der nöthigen Sicherheit. Von Lachmanns Glück bin ich durch ihn wie durch Hein ausführlich benachrichtigt und bin selbst herzlichst froh an dem freundlichen Entwicklungsgange des lieben Freundes einen durch häufige Briefe vermittelten recht nahen Antheil nehmen zu können. Es hat etwas unendlich Wohlthuendes, die, die man liebt und achtet, so recht freudig und glücklich zu wissen und das weiss ich vom alten Blasius, der in seinem letzten Briefe so recht vor Wonne überströmte. Von einer Reise meinerseits nach Berlin ist wol schwerlich die Rede, so gern ich auch ein wenig aus dem alten Würzburg fortginge; meine Eltern wollen mich allerdings gerne || Ostern bei sich sehen, aber ich werde sagen müssen: Quod non! – Von Boner habe ich freilich vor längerer Zeit einen Brief, den ich noch nicht beantwortete, der sehr fidel geschrieben war und offenbar in einer recht heitern Stimmung der Weihnachtstage abgefasst wurde. Ich werde ihm nächstens etwas ähnliches zu leisten versuchen. Neues von sich ist nicht. Soll ich endlich noch Einiges von mir berichten, so geschieht das nur mit der Vorbemerkung, dass dies einige Schwierigkeiten hat, denn eigentlich ist nichts zu berichten. Doch unternehmen wir es mit echt philosophischem Geist den Zusammenhang zwischen nichts und etwas herzustellen das Gerippe meines Lebens kennst Du, einige Anhänge desselben auch, andere sind Dir unbekannt. Mein Umgang ist sehr gering und mein Bart gross, trotzdem bin ich weniger Eremit als mancher glauben mag, der den Doktor so finster einherschleichen sieht. Mit den Bremern komme ich ziemlich häufig zusammen, zumal seit Kottmeier einige Untersuchungen auf meinem Zimmer vorgenommen hat, von denen Du seiner Zeit hören wirst. Ganze Reihen cyanischer Frösche, Kaninchen, schleunig hinsterbend, bevölkern das Zimmer und erfordern unsere Thätigkeit. Es sind recht nette Leute und bin ich manches mal recht munter mit ihnen, freilich immer in einer etwas andren Weise als sonst, es ändern sich die Zeiten. Dreier hat mit den beiden andern vor einem Monat promovirt und ochst jetzt an Dissertation, lässt übrigens bestens grüssen. Call ist hier, indess nicht Assistent geworden, sondern hat einem andern das Feld geräumt; er wollte Dir schreiben, aber er scheint auch viel zu bummeln und da er Dich nun in Wien wieder sehen wird, so wartet er bis auf mündliche Ueberlieferung. Meine Arbeiten sind zum Theil nierenhaft je nach dem Material, zum Theil untersuche ich Corp. lutea, Muskeln oder arbeite chemische Sachen. Kleinere Beobachtungen mache ich schon genug, aber ich muss meine Zeit zu sehr zerpflücken; zumal noch einige Andere Leute meine Hülfe u.s.w. in Anspruch nehmen und auch zuweilen etwas plagen. Im Ganzen ist das pathologische Material nicht grade sehr reichlich in dem Winter, indess habe ich recht hübsche Nieren untersucht und fast alle Arten von Nierenerkrankungen in meinem Curse vorzeigen können; überhaupt habe ich von demselben manche persönliche Vortheile, die ich erst jetzt merke; ob meine guten Schüler so viel profitirt haben, weiss ich nicht, doch ist es vielleicht genug, einen ganzen Winter hindurch wöchentlichd 2 Stunden über Nieren zu hören. Bald ist nun der Schwindel aus und ich will sehen, ob ich nicht einiges zur Veröffentlichung in meinen Notizen finde; ich liebe es nicht von Dingen zu sprechen, die ich nicht wiederholt mit Entschiedenheit gesehen oder erkannt habe, sonst würde es leicht sein, Manches mitzutheilen. Meine letzte Arbeit muss in diesen Tagen kommen und wirst Du nicht umhin können, eine zu erhalten, über die Anwendung, die nur local sein kann, wirst Du orientirt sein.e || Vielleicht komme ich dazu einige Experimente in den Ferien über Albuminium zu machen, was ich schon lange gewünscht. Ich versuche Leucin mit dem Harnstoff in Beziehung zu bringen und es scheint, dass man da zu positiven Resultaten kommt. Hast Du die pathologische Anatomie ganz aufgesteckt? Ich bin sehr begeistert dafür und arbeite fast nichts als Pathologie, natürlich mit der nöthigen Ausdehnung. Von den sonstigen Ereignissen hier muss ich ein andermal schreiben, denn Papier ist alle.f Hr. Semper ist glücklicherweise nicht hier, sondern schreibt seine Tergestinae in Altona.!!??!!...g

Ich bitte, mich Deinen hochgeehrten Eltern bestens zu empfehlen, und hoffe demnächst den Doktorbrief zu erhalten. Im Uebrigen der alte

Kleine.h ||

Herrn Ernst Häckel, Dr. med.

p. Adr. Herrn Ober-Regierungsrath Häckel

Berlin.

Hafenplatz.

a eingef.: vermuthet; b eingef.: p. 173; c gestr.: mit; d gestr.: täglich; eingef.: wöchentlich; eText weiter am rechten Rand auf S. 3: Bald ist nun … Dur orientirt sein.; f Text weiter auf S. 2: Vielleicht komme ich … Papier ist alle.; g Text weiter am oberen Rand von S. 2: Hr. Semper … in Altona.!!??!!...; h Text weiter am rechten Rand von S. 1: Ich bitte, … der alte Kleine.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
02.03.1857
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7820
ID
7820