Becker, Johanna

Johanna Becker an Ernst Haeckel, Bergen, 14. Februar 1916

Bergen d. 14.2.1916.

Sehr geehrter Herr Professor!

Nachdem 3 Jahre verflossen, nahm ich mir die Freiheit noch einmal an Sie zu schreiben, für Ihre freundliche Antwort damals, sage Ihnen meinen herzlichen Dank.

Ich möchte mir erlauben Ihnen zu Ihrem 82sten Geburtstage meinen aufrichtigen Glückwunsch auszusprechen, ich wünsche Ihnen alles Gute, Gott erhalte Sie ferner wohlauf. ||

Gottes Schickung hat uns nun einmal zu Leidensgefährten gemacht, deshalb erlaube ich mir die Frage, wie geht es Ihnen, werter Herr Professor, ist bei Ihnen eine Besserung eingetreten, ich habe in dieser ernsten, schweren Zeit oft an Sie gedacht, Sie werden wohl recht behalten mit Ihrem Ausspruch, denn Sie schrieben damals, ich fürchte, daß in beiden Fällen die Aussichten gleichermaßen hoffnungslos sind. Mit mir ist es auch nicht besser geworden, frei gehen werde ich nie wieder, ich gehe hier im Hause wohl || mit einem Stock umher, aber auf die Straße kann ich nicht wieder. Meine Tochter brachte mir zu Anfang dieses Krieges zu meiner Freude ein Buch mit, welches Sie herausgegeben, betitelt: Englands Blutschuld am Weltkriege, ich habe es mit großem Interesse gelesen. Mein einzigster Sohn (Buchhändler, Mitteilhaber in einem Geschäft in Bremen) schrieb mir zu Anfang, bei unsern modernen Waffen und den Riesensummen, die es kostet wird der Krieg kaum lange dauern, und jetzt, wann wird dieses Blutvergießen noch ein Ende haben? ||

Wie viel Trauer u. Herzeleid hat er in viele Familien gebracht, auch mein Sohn, meine Stütze ist seit August eingezogen, er ist beim Pionier-Bataillon in Graudenz in Garnison, war ein Soldat. Aber was hilft’s? Geduld, Vernunft und Zeit hilft Alles überwinden. Der Mensch denkt, Gott lenkt.

Und nun Herr Professor, nehmen Sie es bitte nicht übel, wenn ich Sie mit meinem Schreiben vielleicht belästigt habe.

Mit dem Wunsche für Ihr ferneres Wohlergehen zeichne

Hochachtungsvoll J. Becker.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.02.1916
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7806
ID
7806