Ida Becker an Ernst Haeckel, Hagen, 29. Dezember 1908
Hagen / Westfalen 29.12.08.
An
Sr. Excellenz Herrn Professor Haeckel.
Hochverehrter Herr Professor!
Vor Ablauf des alten Jahres kam ich nicht umhin, Ihnen verehrter Herr Professor einige Mitteilungen zu machen betreffs meiner Beobachtungen. Ich weiß nicht verehrter Herr Professor ob Sie sich meiner noch erinnern. Vor ca. 4 Jahren teilte ich Ihnen meine seit langen Jahren gemachte Beobachtungen mit, das Geschlecht des Kindes betreffend, wenn Knaben und || wenn Mädchen geboren werden. Herr Professor hatten die Güte mir Ihre Ansicht darüber mitzuteilen. Trotzdem die Aufgabe eine schwierige war habe ich immer weiter gearbeitet um eine bestimmte Theorie aufstellen zu können. Der Erfolg war für mich überraschend, denn alle mit wenigen Ausnahmen von mir gemachten Bestimmungen sind eingetroffen, war dies nicht der Fall, hatte man mir keine genauen Angaben machen können. Bestimmt glaube ich nun sagen zu können, daß das Geschlecht schon im Ei liegt. Während ich früher nur den Einfluß des Mondes || in Erwägung zog, habe ich durch die Beobachtungen der letzten 3 Jahre gefunden, daß durch die verschiedenen Naturen der Frauen der Wechsel der Regel ganz besonders beachtet werden muß. Von den vielen Fällen gestatten Sie mir verehrter Herr Professor, daß ich Ihnen einen Falla schildere.
Meine Freundin hatte Hochzeit und kam auch gleich in Umständen. Da sie nun wußte, daß ich auf diesem Gebiete Forschungen anstellte, frug sie mich was sie wohl erwarten dürfte, ich sagte mit Bestimmtheit einen Jungen, (ich hatte dies direct am Hochzeitstage zu verschiedenen Bekannten geäußert). Genau nach || angegebener Zeit traf der Junge ein, der jedoch schon nach 3 Tagen starb, worüber die Eltern sehr betrübt waren. Ich bestimmte nun nach geraumer die Zeit, wann die Befruchtung stattfinden sollte um wieder einen Jungen zu bekommen, was auch geschah, auch wieder zur bestimmten Zeit der Junge eintraf. So schwer es nun für mich ist einerteils die Menschen von einem Naturgesetz zu überzeugen, so leicht wurde es mir als Frau, näher die Natur der Frau zu beobachten und zu verwerten. Immerhin verehrter Herr Professor haben Sie ein großes Teil dazu beigetragen, daß ich es gewagt habe dieses || Gebiet zu durchforschen und das Rätsel zu lösen. Der Weg wurde mir gezeigt durch Ihre Bücher, welche mich einführten in die Erkenntnis der Natur. Deßhalb möchte ich Ihnen hochgeehrter Herr Professor noch nachträglich meinen Dank abstatten. Im Geiste bin auch ich Ihre Schülerin die nur nach Ihrem Sinne gearbeitet hat. mit großem Bedauern lese ich daß Sie sich in den Ruhestand begeben wollen, wünsche Ihnen verehrter Herr Professor, daß Sie die Ruhe nach so großer, segenreichen Arbeit recht langeb genießen mögen.
Zu ganz besonders großer || Ehre würde ich es mir anrechnen, wenn Sie verehrter Herr Professor mich mit einigen Zeilen beglücken würden.
Gleichzeitig erlaube ich mir zum bevorstehenden Jahreswechsel meine herzlichsten Glückwünsche darzubringen. Gerade jetzt in unserer ernsten Zeit glaube ich nicht mehr schweigen zu dürfen, da doch mit meinen Beobachtungen wieder manchen Menschen neue Hoffnung gegeben wird.
In der Hoffnung, daß ich Sie mit diesen Zeilen nicht belästige begrüße ich Sie mit
vorzüglicher Hochachtung
ergebenst
Frau Ida Becker
Elberfelderstr. 7.
a eingef.: Fall; b eingef.: recht lange