Becker, Daniel Georg

Daniel Georg Becker an Ernst Haeckel, Rödelheim, 30. September 1902

Hochgeehrter Denker.

Hiermit spreche ich Ihnen meinen herzlichsten Dank aus für die Angabe von „Arnold Lang.“ a Meine Wahrnehmung, daß sich die Zellseele bei Vorticella in höherem Grade als bei den anderen Protisten documentiert, ist (was ich ahnte) in dem reichen Werke nicht erwähnt. Konnte nicht erwähnt sein, da die Verfolgung der Vorgänge nicht, durch eine Woche lang, an demselben Lebewesen gemacht. Da aber das Studium, die Verfolgung solcher Vorgänge, durch Ihr Alter sowohl, als durch wichtigere Arbeiten in Wegfalls kommen muß, erwähnte ich nur hier das mir Gebotenerscheinende. Aber Etwas wird Sie doch freuen! Es ist eine Perle in der Bohnenkette der wichtigen Lebenserscheinungen. ||

Ich bezeichnete neulich einer bei uns weilenden unbefleckten Jungfrau von 20 Jahren ein Capitel von Ihrem reformatorischen Werk Welträthselb (durch welches Ich Sie von Grund aus kennen, erkennen lernte.) „Das ist ja eminent! rief das Mädchen aus. „Darf ich nicht Alles lesen?“ Da überließ ich ihr das Buch.

Sie studiert nun langsam aber sicher. Es ist eine Denkerin wie ich keine Zweite weiß! Heute früh war ihr Ausruf „Herr Becker! Was ist die Menschheit doch so dumm, und wie schlecht die meisten Gewalthaten!“

Ich glaube das giebt eine Vertreterin der Wahrheit. Solch seltene Erscheinungen kann die Menschheit brauchen, denn das Weib in seiner vorherrschend beschränkteren Sphäre, ist jetzt noch ein bedeutender Hemmschuh bei der Entwickelung des durch die Wissenschaft angebahnten Fortschrittes. ||

[Fotographie von Zwillingsschwestern] Hier die Zwillingsschwestern Thekla und Sussi Schneider. Die links postierte ist die Denkerin. Im Äußeren sind sie nicht zu unterscheiden. Nur wenn man länger mit ihnen verkehrt hat, blitzt die eine Seele höher auf.

Ihr Verehrer legt hiermit auch eine vor 10 Jahren angefertigte Photographie bei. Sie war ihm damals sehr ähnlich; aber die, andere Verbindungen anstrebende Substanz hat in dieser Zeit weiter gewirthschaftet, ergo!

Da ich Sie schon viel zu lange aufgehalten habe, schließe ich mit den herzlichsten Grüßen.

Ihr aufrichtiger

Verehrer u. natürlich

Freund

D. G. Becker.

Rödelheim

30/9/2

a unkenntlich gestr.; b eingef.; Welträthsel

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
30.09.1902
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7737
ID
7737