Besser, Käthe

Käthe Besser an Ernst Haeckel, Bonn, 11. Mai 1910

Bonn 11.V.10. Louisenstr. 36II

Hochverehrter Herr Professor! –

Zu Ihrem letzten Geburtstag hatte ich mir bestimmt vorgenommen Ihnen wie jedes Jahr, meine besten Wünsche auszusprechen. Mein Befinden war aber gerade im Februar so down, daß ich’s nicht fertig brachte. Nun Sie werden mein Fehlen an dem Tage nicht bemerkt haben, denn Unzählige haben Sie gewiß mit Liebes und Verehrungsbeweisen überschüttet. Hoffentlich hat sich Ihr Befinden so gut gehalten, daß Sie in die Grimmsche Lobrede über das Alter ein-||stimmen können. Sie erholen sich von der Winter-Campagne ja wohl immer im Süden. Und Ihre Geisteshöhe und Ihr Geistesreichtum mit den unendlich vielen Interessen erhalten Sie jung. Concessionen an das Alter müssen wir Alle machen. Ich persönlich bin zu einer mehr als pessimistischen Lebensauffassung durch meine schweren finanziellen Schicksalsschläge gekommen. Das Leben scheint mir auf diesem Globus dem Danteschen Fegefeuer recht nahe zu kommen, und der Zustand des nirwana das Erstrebenswerteste. ||

Der Rheinländer sagt in seinem Platt, wer nicht alt werden well, muß sich jung uphänge. Aber dazu wurzelt man als Mutter und Großmutter zu fest. Meine Älteste – die große Blondine – hat ein furchtbares Schicksal. Ihr Mann (9 Jahr ist sie verheiratet) erkrankte vor 5 Jahren an Epilepsie. Nun ist ihm nach 18jähriger Thätigkeit gekündigt. Sein Gedächtniß hat so gelitten, daß es schwer ist mit 42 Jahren eine neue Thätigkeit zu finden. Jeden Pfennig muß ich da opfern. Mein || zweiter Schwiegersohn hängt noch von seinem alten Vater ab. – Mein Sohn ist mein einziger Sonnenstrahl. Er hat sich ausgezeichnet entwickelt und wird seinen sicheren Weg gehen. Er bekam mit 22 Jahren einen Orden – herrliche Einrichtung – und hat ein ehrenvolles Commando nach Berlin. –

Hoffentlich erleben Sie recht viel Freude an Ihren Kindern und Enkeln, und versammeln sie sich recht oft um Sie. Ihrer Frau Gemahlin scheint es doch || mit den Jahren besser zu gehen. Sie waren doch oft ernstlich besorgt um ihr Befinden. Wie geht es Ihrer unverheirateten Fräulein Tochter? Meine zweite Tochter leidet an cirkulairen Depressionen. Schrecklich – solche Familien-Degeneration. Daß auch Sie nach Ihrem letzten Schreiben an mich, rechnen müssen, verehrtester Herr Profesor – die Excellenz will mir schwer in die Feder, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich glaubte der Strauss-Verlag hätte Ihnen schon ein Vermögen eingebracht. || Ihren wissenschaftlichen Verdiensten nach, müßten Sie mit Geld überschüttet werden. Sie können sich denken wie mein Leben gestaltet ist nach einliegendem Steuer-Zettel. Vielleicht hat Ihre Leipziger Millionen-Tochter in ihrem Wohlthätigkeits-Fond für mich etwas übrig. Es kommt mir „unaussprechlich“ hart vor, diese Bitte an Sie zu richten. Vielleicht haben Sie bei Ihrer Stellung || auch sonst einen sogenannten Reichen der Herz hat und auf Ihr Wort mir etwas weiter hülfe! –

Sie können denken, wie mir als frei fühlendem Menschen zu Mute ist – zu bitten! Aber gerade jetzt schlagen die Wogen über mir zusammen. Ich muß nach Pensionairen inseriren.

Sollte ich mein Haus verkaufen können, bis jetzt suchte ich’s zu halten, dann kann ich’s sofort || zurückgeben.

Meine Tochter hat sehr bedauert Sie in Baden-Baden nicht anzutreffen. Übrigens: Eine so schöne Frau, daß ihr die Maler immer nachlaufen und sie malen. Da sie in Karlsruhe wohnt, hat sie doch vielleicht noch mal das Glück, Sie verehrtester Freund in Baden zu treffen. Was hätte ich Sie noch gern einmal wieder gesehen. Aber der Wunsch bleibt wohl unerfüllt. Es müßte mir dann wie der alten Dame gehen, die immer vom großen Lohn sprach. Und als man sie fragte, ob sie denn spiele (sie war arm) sagte sie: nein, abera bei Gott ist doch kein Ding unmöglich! –

Nun leben Sie wohl verehrtester Herr Professor und zürnen Sie nicht! In steter Verehrung

Ihre dankbar ergebene

Frau Käte Besser

Erbitte Einlage in jedem Fall zurück! –b

a eingef.: aber; b Text weiter am rechten Rand von S. 8: Erbitte … zurück! –

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
11.05.1910
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 7590
ID
7590