Käthe Besser an Ernst Haeckel, Bonn, 27. April 1908
Bonn 27.4.08 | Louisenstr. 36II
Hochverehrter Freund! –
Eigentlich darf ich das Wort garnicht mehr an Sie richten, da Sie meinen letzten Brief aus Marburg ignorirten. Aber ich weiß ja nur zu gut aus Ihren Zeilen, wie jede Minute Ihrer Zeit vollauf besetzt ist. Dazu kommt das Alter, dem so viele Concessionen gemacht werden müssen. Hoffentlich macht Ihnen Ihr gutes Herz nicht allzu viel zu schaffen, denn es ist ein altes Wort, daß wenn das Herz nichts taugt, der ganze Mensch nichts taugt. ||
Nur was die Zeitungen brachten, gab mir Kunde über den berühmten Forscher. Die Attentat-Geschichte war ja einfach scheußlich. Ja, die Zeit in der wir leben ist wohl interessant, aber abscheulich. Zur Biedermeier-Zeit hätte ich lieber gelebt. Ich war im Herbst so voller Mut und Unternehmungslust und durch die Bemühungen eines Freundes meines verstorbenen Mannes, sollte ich am 1. März eine Stellung als Leiterin einer Wohltätigs-Anstalt [!] antreten. || Da wurde ich wieder plötzlich bedenklich krank – am Blinddarm, der Mode-Krankheit, und mußte mit blutendem Herzen abschreiben. Nun vegetire ich wieder so dahin, und kann eben die Kraft nicht finden – der Qual ein Ende zu machen. Sollten Sie bei Ihren zahllosen Beziehungen ein Menschenkind wissen, was mehr hat als es braucht, und der Wittwe eines Arztes es ermöglichen die Kur in Neuenahr zu gebrauchen, so täten Sie wahrlich ein gutes Werk! – Es giebt doch noch || Menschen die wissen, daß geben seliger denn nehmen, und die nicht engherzig sind. Leicht wird mir diese Bitte nicht, aber für Sie ist solch eine Vermittlung doch nicht schwer, verehrtester Herr Professor! –
Vergebens bemühte ich mich um einen Verleger für das hinterlassene Werk a meines Mannes, „Friede auf Erden“ auf das er so große Hoffnung setzte. Der Büchermarkt ist aber mit biologischen Werken übersättigt.
Nun leben Sie wohl, hochverehrter Herr Professor, und von Herzen wünsche ich, daß Ihrer Frau Gemahlin Gesundheit Ihnen keine Sorge macht und Sie selbst noch in alter Frische sich Ihres Lebens-Abends erfreuen. In alter Verehrung und Dankbarkeit
Ihre
Frau Besser
a gestr.: F