Käthe Besser an Ernst Haeckel, Stettin, 28. Dezember 1906
Stettin 28.12.06 | Lindenstr. 3III
Hochverehrter Freund,
Ihr Schweigen ist mir gar kein gutes Zeichen und bin ich sehr traurig, daß ich solche Ewigkeit nichts von Ihnen und Ihrem Befinden hörte. Ich bin seit November in der pommerschen Residenz bei meiner Schwester zum Besuch. Mein Allgemeinbefinden ist erträglich, das tückische Leiden selbst, immer fortschreitend. Aber wenn ich bedenke daß ich im Frühjahr von den weisen Aeskulaps aufgegeben ward, so kann ich über meine Bauern Organe nur staunen. Momentan || lebe ich ja sorglos, wenn ich aber an meine verfahrenen financiellen Verhältnisse denke, die so ganz anders sein könnten und ach, so anders waren, graut es mir nach meiner Rückkehr nach Bonn, den Kampf mit dem Leben wieder aufnehmen zu müssen. Und wie traurig sind die Festtage zum ersten Male so allein. Mit welch lebhaften Interesse würde mein lieber Verstorbener, an dem politischen Kampfe jetzt teil nehmen. Wie würde er noch mit in erster Reihe den Kampf mit dem gehaßten Centrum auf-||nehmen. Ob die Befreiung vom Centrum wirklich gelingen wird? Qui vivra verra! –
Ich bin so unbescheiden, Sie um eine Karte zu bitten, die mir mit wenigen Worten sagt, wie Sie sich befinden. Hoffentlich haben Sie verehrtester, lieber Freund, kein schmerzvolles Leiden auszuhalten und hat die Badekur doch wohl noch nachgewirkt.
Wie mag es Ihrer Frau Gemahlin gehen mit ihrem Herzleiden? Ach, das alt werden ist garnicht schön und sagt das Volk ja richtig wer nicht alt werden will muß jung sterben, und ebenso || zutreffend sagt es, man liegt noch lange genug auf dem Rücken. Doch für Crematorium Anhänger paßt auch dieses geflügelte Wort nicht recht.
Hier weht’s bitter kalt von Russland her. Heute haben wir 12 Grad Reaumur. Aber ich ziehe das hiesige Klima der schlappen, rheinischen Luft bei weitem vor.
Die Birnen aus meinem Garten sandte ich Ihnen verehrtester Freund, zuletzt als Gruß zu und hoffe, Sie haben sie erhalten.
Noch viele aufrichtige Wünsche für das neue Jahr. Und beste Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin.
In steter Dankbarkeit
Ihre
treu ergebene
Käte Besser