Käthe Besser an Ernst Haeckel, Neuenahr, 30. August 1906
Neuenahr, Walburgisstift | 30. August 06
Hochverehrter, lieber Freund,
Ihr lieber, mich so sehr erfreuender Brief, kam gerade an, als ich Ihnen die Erinnerung an meinen Mann aus der ethischen Kultur, zugeschickt hatte. Und nun kam gestern so mich ganz überraschend ein Geschenk in Gestalt von Goldstückelein an, so daß ich meinen Augen kaum traute, und mir den Kopf zerbreche, wie Sie wohl zu meiner hiesigen Adresse kamen. ||
In Gedanken drücke ich Ihnen warm die Hand für Ihre wirklich treue Freundschaft und Güte, und kann meine Kur nun um eine Woche verlängern. Es ist eine tückische Krankheit und doch wohl zu weit vorgeschritten um noch ein Stehen-Bleiben zu erwarten. Bei der Aceton-Bildung die jetzt verschwundena kann jeden Tag Coma eintreten. Und ich sehe dem Nirvana mit größter Ruhe entgegen. Bin ich mit meiner Kur hier fertig – die letzte Analyse war nach strengster Diät zufriedenstellend – so werde ich um meine Finanzen etwas zu arrangiren, eine Vettern-Reise antreten, zunächst einige Monate nach Stettin zu meiner Schwester gehen, || dann anderen Einladungen folgen. Wäre die entsetzliche, mich so ganz lähmende Krankheit nicht, so würde ich mir in meinen Jahren und mit dem was ich gelernt habe, schnöden Mammon verdienen können, aber nach den letzten schweren Anfällen habe ich die Idee, eine leichte Stellung anzunehmen, wieder aufgeben müssen. Der Arzt resp. die Ärzte haben mir beigebracht, daß das ein Ding der Unmöglichkeit ist. Könnte ich nach Australien gehen und Gold buddeln, ich täte es aber wahrhaftig! Je älter man wird, desto mehr muß man leider erkennen, welch eine Macht der Mammon hat und wie man zu den Lumpen zählt, hat man keins. Ganz ist die Aussicht b das durch Pauli ver-||lorene Kapital von 30 – 40tausendc zurück zu bekommen, noch nicht geschwunden. Dann aber wird es mein Allererstes sein meine Schuld an Sie abzutragen.
Es macht mich traurig, daß Ihr Arzt meint, die so wichtigen Filter, die Nieren, sein [!] krank bei Ihnen, mein verehrtester Herr Professor. Sie werden um Ihr Leben zu verlängern, dann sicher immer eine recht strenge Diät einhalten d, vor Allem eine blande und eine Milchdiät einschlagen müssen. Nun, ein Alkohol Freund waren Sie ja nie und wirde die Entsagung Ihnen nicht zu schwer werden! ||
Wildungen hat ja wohl herrliche Wald Spaziergänge und die absolute Ruhe und Stille wird Ihren Gesammt-Organismus stärken. –
Ich liege hier viel auf der Chaiselongue im Freien und lebe ganz für mich. Es ist auch wahrlich unter den sogenannten „Gebildeten“ selten etwas zu holen. Meine liebsten Freunde sind Ihre Bücher. Neben mir liegen die Welträtsel die meine tägliche Speise sind, und auf der ersten Seite habe ich Ihr Bild befestigt. Jeder Mensch muß doch mit || etwas Kultus treiben, ein Ideal hegen und das wird mir auch keine Macht der Erde mehr nehmen können. Was verdanken Ihnen unzählige Menschen die Sie persönlich nicht kennen, wie werden Sie verehrt, geschätzt, geliebt! Und ich habe nun das seltene Glück Ihrer persönlichen Freundschaft. Was sie mir ist, können Sie kaum wissen. Am Liebsten setzte ich mich morgen in den nächsten Zug nach Wildungen, und könnte dann 14 Tage noch mit Ihnen || zusammen sein! –
Die Entzündung des Nierenbeckens ist doch sicherlich gehoben durch die Ausspülung mit der heilkräftigen Quelle. Man wird doch ein wenig Schwemm-Kanal in solch einem Bade-Orte. Leider sieht man immer an solchen Plätzen so viel schwerer Leidende. Ich fliehe den sogenannten Kurpark so viel als möglich. Mein angeborener Humor, mein heiteres Temperament ist allerdings durch die Sorgen recht geschwunden. Leider habe ich nicht jene fromme Ergebung die in dem Lose, das einem zu teil geworden, etwas Gebotenes, Vorgezeichnetes, || sieht, der eitle Gedanke beherrscht mich zuweilen noch in den alten Tagen, daß ich mit einigen Talenten und Gaben die mir in die Wiege gelegt wurden, hätte weiter kommen können. Solche Erfahrungen wie ich sie mit meinen Schwiegersöhnen gemacht, erhöhen die Bitterkeit. Doch sage ich mir oft, dulde, gedulde Dich fein, Alles wird bald am Ende sein.
Hoffentlich können Sie jetzt wieder ohne Sorge um Ihre Frau Gemahlin sein. Die Ärzte nennen so leicht Alles Influenza. Was ich nicht dekliniren kann, fängt bei Influenza (der Nerven) an. –
Recht, recht gute Besserung hochverehrter, lieber Herr Professor. Die Wirkung des Bades soll ja immer Weihnachten von größter Wirkung sein. Hoffen wir das Beste. In größter Dankbarkeit und Verehrung
Ihre
getreue
Käte Besser
a eingef.: die jetzt verschwunden; b gestr.: auf; c eingef.: von 30 – 40tausend; d gestr.: müssen; e eingef.: wird