Käthe Besser an Ernst Haeckel, [Bonn], 7. Oktober 1898
Letzter Gruss nach Baden-Baden | 7.X.98.
„Rau und Wundt“
Sie machen nicht gesund
Reissen „Wunden rauh“
In des Gehirnes Bau
Und noch gar der Überweg
„Übermensch“, für Dich kein Steg
Metaphysik und Philosophie
Hasse als Feinde sie
Bei Deinem scharfen, genetischen Denken
Und lass‘ sie als Ballast versenken. –
Sie ahnen nicht, verehrter Herr Professor, was für Lichtblicke Ihre Briefe in meinem Dasein sind! Es freut mich so sehr, daß Sie so zufrieden mit Ihrem Befinden und dem Erfolg der Wildbäder sein können, daß ich Ihnen das eben nur noch aussprechen möchte, bevor Sie sich von dem schönen Walde trennen. Außerdem muß ich Ihnen noch gestehen, daß ich an großem moralischem Katzenjammer leide, || gewagt zu haben, Ihnen 3 Konterfeis meiner „herabgekommenen Seele“ zu senden. Ich schicke Ihnen das Bild meines Sonnenscheins Lotti sehr bald und dann lege ich Ihnen zu Ihrer Bequemlichkeit adress. Couvert bei, um „Nicht Konvenirendes“, Sie böser Ironymus, zurückzusenden. Hofnungsvolle [!] Zukunftspläne – geschweige mit Humor – gelingen mir nicht mehr lieber Herr Professor, dazu schwingt meine Seele zu melancholisch. Aber ich will doch auf Ihre Zeilen hin noch einmal in allen Ecken und Winkeln noch übrig gebliebener Energie ausschauen und sie sammeln zum Kampf mit dem vagus – möglich ja auch, daß der sympaticus noch kränker ist. ||
Daß Sie mit Griesbach nicht an jenem Sonntag zusammen waren, habe ich besonders bedauert. Wenn ich Ihnen Lottis Bild geschickt habe, dann fällt für mich im Laufe des alten Jahres wohl noch mal ein Kärtchen ab? Ich werde Sie – die Botschaft hören Sie und fehlt Ihnen daran hoffentlich nicht der Glaube – jetzt ganz mit meiner Schreiberei verschonen.
Aber sein Sie doch nicht so „über“-menschlich fleißig“! Wer schon so Großes für die Unsterblichkeit gethan – so gearbeitet hat wie Sie in Ihrem Leben, sollte nur ruhen und genießen.
Schönen Dank für Ihr Rezept gegen Schlaflosigkeit. Bei mir ist aber Hopfen und Malz verloren in der Beziehung, außerdem ist mein Schatz an schönen || Reise-Erinnerungen, die ja nur ein Vorzug der upper ten thousand – ein winzig kleiner. Nach meinem Ruhekissen zu urtheilen, habe ich halt ein böses Gewissen. In der letzten Zeit bin ich wieder in meine alte Schwäche der Dichteritis verfallen, es war noch mal so ein letzter Vesuv-Ausbruch und ich fühle nun die doppelte Schwere des kalten Sonnensternes. – Ich widersteh – der Versuchung tapfer Ihnen diese Geisteskinder – (Seelen-Auswüchse) – zu unterbreiten. Nochmals tausend Dank für Ihren lieben Brief!
In größter Verehrung und Freundschaft
Ihre
treu ergebene
Käthe Besser.