Emil Bessels an Ernst Haeckel, Washington D. C., 30. Oktober 1879
COSMOS CLUB.
WASHINGTON CITY. den 30. October 1879.
Lieber Herr Professor.
Ich schreibe Ihnen im Steigbügel; um Ihnen rasch mitzutheilen, dass mich Ihr Brief vor etwa einer halben Stunde erreicht hat und dass Ihnen geholfen werden kann. – Um Aufenthalt zu vermeiden, erlaubte ich mir, Ihnen mein eigenes Exemplar von Lucernaria zu übersenden; und zwar, um völlig sicher zu gehen, dass dasselbe auch wohlbehalten bei Ihnen eintrifft, erwartete ich soeben dem Deutschen Gesandten, dasselbe in seinen Depeschen-Sack zu stopfen, der heut’ Abend von hier abgehen wird. Durch das auswärtige || Amt wird das Buch an Herrn von Schlözer’s Verleger gelangen (– ich glaube es ist Wilhelm Hertz –) und der Gesandte hat unter meinen Augen einigen Zeilen an ihn geschrieben, dass er Ihnen das Buch unverzüglich zustellen möge. – Drei Tage nach Empfang dieses Briefes wird dasselbe spätestens bei Ihnen eintreffen. – Eigentlich haben Sie mich etwas ärgerlich gemacht, dass Sie mir nicht gleich schrieben, sondern sich an Friedländer wandten. Sie wissen ja, mit welchem Vergnügen ich Ihnen die Geschichte besorgt hätte!
Ihre Mittheilung über Ctenaria habe ich richtig erhalten und sage Ihnen dafür besten Dank. Ich fand dieselbe vor Kurzem bei meiner Rückkehr vom Meeresstrande hier vor. Ganz besonders interessirt haben mich die Homologien. Ich fand letzten Sommer Gelegenheit, Studien an künstlich befruchteten || Eiern von Mnemiopsis zu machen, die überaus geeignet sind, das Eindringen der Spermatozoen zu beobachten. Die Bildung der perradialen Kanäle scheint hier, - falls ich mich nicht getäuscht habe – etwas sonderbar zu sein.
Dass meine kleine Reise-Beschreibung Ihnen zusagt, freut mich zu vernehmen. Ich selbst habe daran viel auszusetzen, besonders an der Diction. Wie freue ich mich, daß Costenoble ein solcher Leimsieder ist und die Publikation meiner nordischen Schilderungen der schlechten Zeiten wegen auf die lange Bank schob, nachdem wir bereits Vertrag gemacht hatten! Ich würde nie aufhören können mich über das Zeug zu ärgern. Inzwischen habe ich schreiben gelernt, das heisst, ich weiss wie die Menschheit nicht schreiben darf – und habe die Schilderungen gänzlich umgearbeitet. Ich werde das Zeug wahrscheinlich Engelmann geben und mir dazu Radierungen von Wilhelm Unger erbitten. ||
Wenn der Congress mir im Laufe der kommenden Sitzung die Mittel an die Hand gibt, so können Volum II & III des Reisewerks in die Presse wandern und bald erscheinen.
Auf Ihre Monographie der Medusen bin ich in der That neugierig, nach den Mittheilungen die ich las, glaubte ich das Werk bereits in der Presse. Unerhört scheinen mir die 2000 neuen Radiolarien. Das ist ja kolossal!
Ein Exemplar der neuen Auflage Ihrer Schöpfungs-Geschichte würde mir gewiss Freude machen; aber ich könnte ein solches nur dann annehmen, falls Sie es wirklich zu entbehren haben.
Nun leben Sie wohl! Vergessen Sie das Geschmiere und den zusammenhangslosen Brief. Ich schreibe diese Zeilen in aller Eile in einem der Club-Zimmer, auf dem Wege nach der Bibliothek; und neben mir prallen Billard-Kugeln aneinander, knallen Champagnerpropfen und tönen laute Stimmen.
In alter Anhänglichkeit
Ihr
Emil Bessels