Bessels, Emil

Emil Bessels an Ernst Haeckel, Stuttgart, 5. Dezember 1868

Stuttgart den 5. Dezember 1868

Hochgeehrter Herr Professor!

Schönsten Dank für die freundliche Zusendung der jenenser Zeitschrift, die Sie nächster Tage wieder zurückerhalten werden. Ich vermuthe nämlich, daß man bei ganz jungen Pleuronecten eine Schwimmblase auffinden wird, die den alten Thieren völlig abgeht, was auch durch ihre ganze Lebensweise höchst begreiflich ist. Ich eilte deshalb so sehr, die Zeitschrift zu erhalten, weil in den württemberger Jahresheften ein Aufsatz über den Schädel des Pleuronectes, äußerst breit und gedankenlos zur Publication gebracht werden soll. Es waren noch 4 Seiten zu bedrucken und kein Stoff vorhanden. Da mich der Verfasser dieses Aufsatzes früher einmal gebeten hatte, ihm einige Zusätze zu machen; indem ich vergangenen Sommer die Organisation eben ausgeschlüpfter Pleuronecten studirt hatte, so wollte ich dies jetzt thun. Mittlerweise fanden die 4 Seiten durch Titel u. Register ihre Ausfüllung, so dass mein Aufsatz überflüssig ist. Aber ich will der Sache etwas nachspüren. Wie hübsch wäre es, wenn der Pleuronectes so lange eine Schwimmblase, oder ein Rudiment davon besässe, als er an der Oberfläche des Meeres schwimmt.

Endlich endlich kommt mein Aufsatz. Derselbe war schon Ende November fertig geschrieben. Als dann einige warme Tage eintraten, hoffte ich immer, bis heute, Material zur Ermittlung einiger zweifelhafter Fragena zu erhalten: aber Alles umsonst. Ich beschränkte mich deshalbb auf zwei Holzschnitte, wovon Stock zu einem bei Engelmann vorhanden ist. Leider kann ich die Mappe mit Zeichnungen, die mir an der Grenze zu Belgien gestohlen wurde, nicht wieder zurückzaubern, sonst wäre Alles viel rascher gegangen, denn diese enthielt den druckfertigen Aufsatz in bedeutend erweiterter Form; ich hatte dort über die Bildung der Leberschläuche u. des Darmrohrs ganz sichere || Anhaltspunkte.

In Triest besann man sich eines Andern! – Man beschloss, die Stelle nicht zu besetzen, sondern abzuwarten, bis der frühere Inhaber derselben, der mit der Ost-Asiatischen Expedition ging, wieder zurück ist. Ich habe aber jetzt eine andere kleine Reise vor. Und wohin? Nach dem Nordpol werde ich mit der deutschen Expedition gehen! Was wird Keferstein, der die zoologischen Theilnehmer wählt, dazu sagen, wenn sich ein Darwinianer entpuppt? Sicherlich werden dann seine Briefe nicht mehr so süss ausfallen, wie bisher. Ich werde jedenfalls auf Spitzbergen oder Grönland mit überwintern. Ich bin überzeugt, dass man eine ganz überraschende Ausbeute an Seethieren haben wird. Der Golfstrom muss so Manches mitführen, was sich dort oben anzupassen vermag. Jedenfalls ist in einer so öden Gegend der Kampf um’s Dasein ein weniger heftiger und die Existenzbedingungen nicht so complicirt. In einiger Zeit wird die Besprechung der Theilnehmer zu Bremen oder Gotha stattfinden; alsdann werde ich es mir nicht nehmen lassen das liebe Jena mit seinen lieben Bewohnern wieder einmal zu sehen.

Mit grossem Dank sende ich Ihnen Claparede’s Arten anbei zurück. Hering, der Anstreicher, sendet Ihnen von Paris aus die herzlichsten Grüsse. Die Photographie des Cartons zu seiner Lorley [?] folgt ebenfalls mit.

Nun leben Sie wohl, meine Zeit ist knapp gemessen. Herzlichste Grüsse an Alle: an Hofrath Gegenbaur, Schleicher, Schäffer etc.

von

Ihrem

ergebenen

Emil Bessels.

a eingef.: Fragen; b eingef.: deshalb

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.12.1868
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7514
ID
7514