Bergmann, Leo

Leo Bergmann an Ernst Haeckel, Fürth, 1. März 1909

LEO BERGMANN
FÜRTH, BAYERN.

1. März 1909

Verehrter Herr Ehrenpräsident!

Ich gestatte mir, Ihnen mit gleicher Post je 1 Exemplar zweier hiesiger Lokalblättchen zu übersenden mit Berichten über einen vom „Evangelischen Bund“ veranstalteten Vortrag des Herrn lic. theol. und Dr. phil. Kühn aus Dresden. Ich weiß nicht, ob Ihnen dieser Herr aus anderweitigem Auftreten bekannt ist, seine Kampfesweise und sein Auftreten lassen ihn nicht als ebenbürtigen und vom wissenschaftlich-polemischen Standpunkte aus als ehrenwerten Gegner, vielmehr als einen schrecklichen Pharisäer erkennen; immerhin à la guerre comme à la guerre, im Kampfe hat man nicht allein ehrliche Gegner, und auch mit den anderen muß man rechnen, leider unter Um-||ständen mehr als mit den aufrichtigen.

Wie in allen derartigen Fällen kam es natürlich am Schlusse nicht zu der angekündigten und angebotenen Diskussion; anscheinend hatte ausser mir selbst niemand Lust zu einer solchen. Aber auch ich mußte mich aus verschiedenen Gründen zurückhalten: 1.) als einziger Jude in einer Versammlung des evangelischen Bundes, 2.) als Laie gegenüber 2 versierten und auf alle Einwände wohlvorbereiteten Gegnern (auch der Einberufer Pfarrer Fikenscher ist eine in weiten Kreisen bekannte Kampfnatur) und 3.) weil das anwesende Publikum nicht annähernd dem Verständnis der Sache gewachsen war. Aber man hat den Leuten mit dem salbungsvollstem Ton priesterlicher Überzeugung || die Sache so mundgerecht zu machen verstanden, daß der Vortrag, zumal nachdem er durch den breiten, großenteils wortgetreuen Auszug des einen der beiden Weltblättchen auch der Masse zugänglich gemacht wurde, nicht unwidersprochen bleiben darf. Herr Dr Kühne, den der Einberufer in seinen Einführungsworten eine Autorität auf dem beschrittenen Gebiete nannte, hat es mit entsprechender Rhetorik und dazugehörigem Minenspiel verstanden, Ihre verehrte Persönlichkeit und die Ergebnisse Ihrer Forschung so lächerlich zu machen, daß stellenweise spontane Lustigkeitsausbrüche zu verzeichnen waren, als ob Marcell Salzer einen humoristischen Vortrag halten würde.

Da ich selbst als Laie solchen Gegnern gegenüber mich zu schwach || fühle, um allein aufzutreten, habe ich mich mit den maßgebenden Herren der Ortsgruppe München in’s Benehmen gesetzt, um dieser Sammlung von Entstellungen und Verläumdungen entsprechend entgegenzutreten.

Zweck meines heutigen Briefes ist nur, Sie – verehrter Meister – lediglich des Interesses halber von dem Machwerke des p. t. Kühn in Kenntnis zu setzen. Vielleicht – und das scheint mir beinahe das Richtigste – ist die einzige Wirkung auf Sie ein abgeklärter, verzeihendes Lächeln. Sollten aber Sie oder Herr Dr Schmidt, der mir aus seinem Nürnberger Vortrage über das biogenetische Grundgesetz bekannt ist, an dem weiteren Verlaufe der Sache Interesse haben, so stehe ich gerne mit Bericht zur Verfügung.

Ich bin, sehr geehrter Herr Professor,

mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr Ergebenster

Leo Bergmann

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.03.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 7434
ID
7434