Elise Berger an Ernst Haeckel, Cannstatt-Stuttgart, 14. Februar 1918
Kgl. Wilhelma.
Cannstatt-Stuttgart.
14. Febr. 1918.
Sehr verehrter lieber Herr Professor.
Zu Ihrem 84ten Geburtstag senden wir Ihnen die allerherzlichsten Wünsche. Möge sich vor allem Ihre Gesundheit bessern und Sie noch recht lange weiterarbeiten können, wenn es auch nicht mehr so flott geht wie früher. Für Ihre liebe Karte besten Dank; Ihre Schrift ist noch so fest und unverändert; dass es kaum zu glauben ist, dass Sie von einem Abnehmen Ihrer Kräfte berichten. In früheren Jahren konnten wir Sie an Ihrem Geburtstag mit Rivierablumen erfreuen – aber die Zeiten sind nun für immer vorüber!
Wir haben uns hier nun schon vollständig eingelebt & gefällt es uns immer besser im Schwabenland. Die Leute sind hier alle sehr nett zu uns, wir haben schon einen grossen Bekanntenkreis & bietet uns das Hoftheater recht schöne Stunden. Ihr früherer Assistent Prof. Ziegler betätigt sich jetzt auf patriotische Weise. Erstens hält er in den verschiedenen württ. Städten für die Vaterlandspartei einen Vortrag über „Deutschlands Macht“ ‒ der nicht viel Neues bringt, aber dem Redner grosse Arbeit gemacht hat, da er die Lichtbilder etc selbst entworfen oder aus verschiedenen Quellen zusammengetragen hat und zweitens hält er für’s Rote Kreuz zusammen mit einem sehr gelehrten & hochgebildeten Hündchen Sepp, Vorträge über „sprechende & buchstabierende Hunde“. Sepp soll Erstaunliches leisten ‒ seine Orthographie scheint jedoch der unserer Kinder ‒ die im deutschen Diktat sehr schlecht beschlagen sind ‒ Konkurrenz zu machen! Trotzdem finden die Vorträge grossen Beifall, besonders unter der Jugend.
Uns gegenüber wohnt Dr. Greiner aus Jena! || Seine Schwester war einst mit einem Ihrer Assistenten verlobt, die Verlobung ging dann zurück. Erinnern Sie sich der Familie Greiner? Dr. Greiner ist Chemiker bei Bosch, der grössten Munitionsfabrik Stuttgarts. Er ist ganz nett, so lang man nicht von Politik mit ihm & seiner jungen Frau, spricht. Aber wehe wen man auf politisches Gebiet gelangt! Mein Mann & er werden dann fuchsteufelswild! Dr. Greiner ist Sozialdemokrat, ein non plus ultra „Verzichtler“, der wie er uns einmal erklärte, „Deutschland die Stellung Dänemarks in Europa“ anweisen möchte, der von der ewigen Friedensduselei derart erfüllt ist, dass man sich oft fragt wie es möglich sein kann, dass ein akademisch gebildeter Mensch, dazu Reserveoffizier, solche verrückte Ansichten haben kann.
– Frau von Tobold, Prof. Strasburger’s einzige Tochter, zeigte uns vor Kurzem die Verlobung ihrer ältesten Tochter mit einem Freiherr von Unruh, an. Die jüngste Tochter verheiratete sich voriges Jahr. In Berlin scheinen die armen Leute – d.h. in diesem Fall, die reichen Leute ‒ auch nichts zu essen zu bekommen. Frau v. Tobold klagt entsetzlich. Da haben wir es im Schwabenlände doch besser! Wir können uns nicht beklagen. Die Kgl. Meierei liefert uns täglich 4 l. Milch, der kgl. Küchengarten das frische Gemüse & unsere Hofgärtner hamstern überall etwas zusammen & teilen es redlich mit uns!
Cecil Hanbury schrieb zu Neujahr. Er war im Novemer in La Mortola, unsere Sachen sind gut aufbewahrt.
Prof. Schweinfurth feierte seinen 81ten Geburtstag zum 2ten Mal in Patenkirchen. In seinen alten Tagen gewöhnt er sich an Schnee & Eis! Dabei fühlt er sich ganz wohl. Natürlich lebt er wie unter einer Glasglocke. Beim leisesten Lüftchen fürchtet er den Schnupfen! Mein Mann hatte diesen ganzen Winter grosse Kohlennot. Viele seiner Gewächshäuser musste er dämmen & trotzdem ist so manches erfroren. Von Jena erhielt er von Prof. Stahl mehrere schöne Bromeliaceen. In den nächsten Tagen reist er nach Schleiz, seine Brüder zu besuchen, da der eine aus dem Feld auf Urlaub kommt. Von Stuttgart nach Schleiz zu kommen ‒ bei diesen Verkehrsverhältnissen ist auch ein Welträtsel! Und nun, mein lieber Herr Professor, nochmals alles Gute & Schöne im neuen Lebensjahr. Es grüsst Sie herzlichst
Ihre E. Berger.
Auch meinerseits die allerherzlichsten Glückwünsche! Möge uns Ihr neues Jahr den ersehnten deutschen Frieden bringen!
Es grüsst Sie ergebenst Ihr sehr
ergebener und getreuer
Alwin Berger. a
a weiter am Rand v. S. 1: Beischrift Alwin Bergers